RückenschmerzZu viel sitzen, zu wenig Bewegung

Therapiemaßnahmen der TCM bei Rückenschmerzen rücken den gleichmäßigen Fluss von Qi und Blut in den Fokus: mit Akupunktur, Kräuteranwendungen, Moxatherapie und regelmäßiger Bewegung.

Junge Frau am Schreibtisch hält sich den unteren Rücken; Rückenschmerz
Africa Studio/stock.adobe.com; Stockphoto - Posed by a Model

von Zheng Zhang

Kurz gefasst

  • Auch „moderne“ Krankheitsbilder wie etwa chronische Rückenschmerzen werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) diagnostiziert und behandelt.
  • Bei Betrachtung jeglicher Erkrankungen des Bewegungsapparats rücken das Qi und das Blut in den Fokus. Therapeutische Maßnahmen der TCM dienen vor allem dazu, deren gleichmäßigen Fluss zu gewährleisten.
  • Neben Körper- und Ohrakupunktur, innerer wie äußerer Anwendung von Kräutern oder der wärmenden Moxatherapie betrachtet die TCM auch regelmäßige Bewegung als hilfreich – empfohlen werden hier etwa Gesundheits-Qigong oder Taiji-quan-Übungen.

Der Rücken besteht nicht einfach nur aus einer Schicht Muskulatur und ein paar Sehnen, sondern er ist ein komplexes System aus verschiedensten Muskelgruppen, Faszien, Bändern sowie der Wirbelsäule. Weil der Bewegungsapparat so komplex ist, können Rückenschmerzen sehr unterschiedliche Ursachen haben.

Die enorme Zunahme von Rückenproblemen heutzutage ist häufig auf den Mangel an physischer Betätigung zurückzuführen. Dabei sind vornehmlich die zahlreichen Menschen betroffen, die vorwiegend im Sitzen arbeiten. Immer mehr Menschen üben einen Beruf aus, bei dem sie einen Computer verwenden. Sie nehmen dabei über einen längeren Zeitraum eine Fehlhaltung des gesamten Körpers ein, bei der sich die Hände und die Arme vor dem Rumpf befinden. Hinzu kommt meist ein Rundrücken mit eingezogenem Kopf beziehungsweise hochgezogenen Schultern.

Ätiologie – chronische Rückenschmerzen aus Sicht der TCM

Aus Sicht der TCM werden jegliche Erkrankungen des Bewegungsapparates unter dem Begriff des Bi-Syndroms zusammengefasst. Hier handelt es sich definitionsgemäß um Erkrankungen mit schmerzhaften Obstruktionssymptomen von Qi und Blut im Gelenk-, Muskel- und Sehnenbereich. Das Krankheitsbild der chronischen Rückenschmerzen gehört dazu.

Abwehr-Qi-Mangel und Wind-Kälte

Dabei unterscheidet die TCM die klimatischen Faktoren, die krank machen können: Lange sitzende Arbeit schwächt das Abwehr-Qi (auch Wei-Qi genannt), die pathologischen Faktoren wie Wind und Kälte dringen in den Körper ein und blockieren das Meridiansystem. Dabei bewegt sich der Wind und ändert sich fortlaufend, was zu einem wandernden Bi-Syndrom führt. Die Kälte verknotet das Qi und das Blut in den Muskeln und ist schwierig aufzulösen.

Dies führt zu einem starken schmerzhaften Bi-Syndrom. Diese Faktoren blockieren den Tai-Yang-Meridian, was zu Rückenschmerzen führt. Diese Schmerzen lassen sich durch Wärme lindern. Die Patienten neigen zu Erkältung und frieren leicht. Ihre Zunge ist blass und geschwollen, der Puls ist tief und langsam.

Blutstagnation

Eine weitere Ursache sieht die TCM in der Stagnation des Blutes im Blasenmeridian. Akute Rückenschmerzen, die nicht erfolgreich behandelt wurden, können in chronische Rückenschmerzen übergehen. Aber auch emotionale Belastungen, Fehlernährung, Überlastung und eine schwache Konstitution sowie natürlich Bewegungsmangel kommen als Auslöser infrage.

Fühlen sich Patienten gestresst und frustriert, so kann dies den Funktionskreis Leber belasten und damit eine Qi-Stagnation in den Leitbahnen, die wiederum bei langem Bestehen zu Blutstagnation führt, auslösen. In diesem Fall neigen die Patienten häufig zu Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Stimmungslabilität sowie Nervosität und haben chronische dumpf stechende Schmerzen. Die Zunge ist bläulich und die Zungenuntervenen sind dick und angestaut.

Schwächung des Funktionskreises Milz/Magen

Die dritthäufigste Ursache für chronische Rückenschmerzen ist eine Schwächung des Funktionskreises Milz/Magen aufgrund einer durch langes Sitzen verursachten Schwächung der Muskeln. Da Qi durch Magen und Milz auf die Dauer verbraucht wird, werden dann Muskeln und Sehnen nicht mehr adäquat versorgt: Es können generalisierte Rückenschmerzen auftreten. So wird ein Teufelskreis herbeigeführt.

Entstehen Rückenschmerzen etwa durch einen Qi-Mangel des Funktionskreises Milz/Magen, so sind die Schmerzen persistierend und im ganzen Rücken vorhanden. Sie verschlechtern sich durch körperliche Anstrengung und bessern sich durch Ruhe – die Patienten leiden unter einer allgemeinen Kraft- und Energielosigkeit. Sie haben oft Appetitmangel, Blähungen und weiche Stühle. Der Puls ist schwach und die Zunge hat oft einen dicken Belag.

Leber- und Nieren-Yin-Mangel

Langfristige geistige Arbeit schädigt Leber- und Nieren-Yin. Leber- und Nieren-Schwäche führt zu Mangelerscheinungen bei Knochen und Sehnen. Eine unzureichende Ernährung der Sehnen zieht Schmerzen und Steifigkeit nach sich; eine Mangelversorgung der Knochen führt zu einer Ablagerung von Schleim in den Gelenken. Die jeweiligen Gelenke sind deformiert, und die Patienten haben chronische Rückenschmerzen und schwache Knie, leiden an Erschöpfung, einem trockenen Mund und Nachtschweiß. Die Zunge ist trocken, rot und belaglos. Der Puls ist oberflächlich.

Therapeutische Maßnahmen der TCM

Die folgenden Maßnahmen können bei chronischen Rückenschmerzen angezeigt sein.

Akupunktur – kräftigend oder ausleitend

Für die Akupunkturbehandlung gilt es, die richtige Auswahl und Kombination der Punkte sowie die geeignete Stichtechnik und richtige Dosierung zu finden. Unterschieden werden kräftigende (tonisierende) und ausleitende (sedierende) Techniken. Bei der Auswahl der Akupunkturpunkte wird neben dem aktuellen Krankheitsbild auch die ursächliche Entstehungsweise einer Erkrankung berücksichtigt.

Durch den Einstich werden am Akupunkturpunkt die Sauerstoffzirkulation und die Durchblutung angeregt. Darüber hinaus aktiviert die Behandlung die natürlichen Heilungsprozesse des Körpers, um beschädigtes Gewebe schnell und effektiv zu kurieren.

Punktauswahlprinzip:

  • Ashi-Punkte – „Drachen umzingeln“: Akupunkturnadeln kreisrund um den Hauptschmerzpunkt setzen
  • Lokal-/Regionalpunkte: Punkte, die Rückenschmerzen entsprechen, auf dem Blasenmeridian aussuchen
  • Fernpunkte: Di 4, Ma 36, Lu 7, Gb 34, Bl 40, Bl 60, Ex-UE 8 und Ex-UE 7
  • One-Point-Stimulation: Gb 34, Dü 3, Ex-UE 8, Ex-UE 7

Punktauswahl je nach dem Muster:

  • Rückenschmerzen durch Abwehr-Qi-Mangel und Eindringen von Wind-Kälte – Qi und Blut (Xue) bewegen und tonisieren: Ma 36, Mp 6, Mp 10 und Bl 17, Bl 15, Bl 20; Wind-Kälte ausleiten: Gb 20, Le 3, Le 8, Di 4
  • Rückenschmerzen durch Blutstagnation: Di 4 mit Le 3, MP 4 mit KS 6, MP 6, MP 10, Bl 15, Bl 17, Bl 18
  • Rückenschmerzen durch Schwächung des Funktionskreises Milz/Magen: Ma 36, Ma 37 und MP 6
  • Rückenschmerzen durch Leber- und Nieren-Yin-Mangel: Ni 3, Ni 7, Bl 23, Le 3 und Le 8

Phytotherapie - von außen und innen

Äußere Kräuteranwendung: Zutaten für „Si Zhi Sun Shang Xi Fang“

Blutstase bewegen, Meridiane erwärmen und Gelenke aufbauen

Zubereitung und Anwendung: Alle Heilkräuter zusammen 15-20 min kochen und anschließend den betroffenen Bereich mit dem Sud 2-3 x tgl. waschen.

Innere Phytotherapie: Zutaten für „Bu Shen Zhuang Jin Tang“

Zubereitung und Anwendung:

Alle Kräuter mit 750 ml kaltem Wasser aufsetzen, zum Kochen bringen und 45 min köcheln lassen, bis der Kräutersud auf 250 ml reduziert ist. Frisch zubereiteten Sud jeweils morgens und abends nach dem Essen einnehmen.

Moxatherapie – das Qi mit Wärme bewegen

Die Moxatherapie stärkt und bewegt das Qi durch die eindringende Wärme, lindert Schmerzen, fördert Entspannung und leitet Kälte sowie Feuchtigkeit aus. Die Wirkung übersteigt die einer reinen Wärmeanwendung (wie etwa dem Auflegen einer Wärmflasche) bei Weitem.

Bei chronischen Beschwerden ist es ratsam,1-2 x pro Woche jeweils 5-10 min pro Akupunkturpunkt zu behandeln. Meist werden ebenfalls 2-3 Punkte (Tonisierungspunkte) ausgewählt. Zunächst erfolgt ein Behandlungsintervall. Je nachdem, wie sich die Symptomatik bessert, wird individuell entschieden, wie viele Behandlungsintervalle noch nötig sind.

Die Akupunkturpunkte Mp 10, Ma 36, Ren 6 und Lokalpunkte sind bei der Anwendung zu empfehlen.

Ohrakupunktur – direkt auf den Körper einwirken

Die Ohrakupunktur gilt als älteste Sonderform der Akupunktur. Erste Zeugnisse stammen aus dem alten China und aus Ägypten, wo sie bereits vor 2000 Jahren angewandt wurde. Später verlor sie allerdings an Bedeutung. Erst in den späten 1950er-Jahren erlangte diese Methode in Europa Aufmerksamkeit durch die systematischen Forschungsarbeiten des französischen Arztes Paul Nogier, der sie weiterentwickelte. Die Chinesische Schule der Ohrakupunktur ist in das System der Traditionellen Chinesischen Medizin integriert.

Wirkungsweise und Technik:

Das Ohr ist nach Nogier ein sogenanntes Mikrosystem (Somatotop). Das heißt, es repräsentiert Projektionszonen umschriebener Körperareale, in denen sich die Gesamtheit des körperlichen Organismus in Form funktioneller Wechselbeziehungen widerspiegelt. Die Ohrakupunktur bedient sich systematisch angeordneter Reflexpunkte. Dabei dient die Vorstellung eines auf dem Kopf stehenden Fötus, der auf die Ohrmuschel projiziert ist, als Orientierung. In der Ohrakupunktur lässt sich durch die Irritation der Reflexzonen eine diagnostische Orientierung gewinnen. Im Gegensatz zur Körperakupunktur lässt sich kein De-Qi-Gefühl auslösen. Über die Behandlung der mehr als 200 beschriebenen Ohrpunkte kann der Therapeut direkt auf Organe, Nerven, Muskeln und Gelenke einwirken.

Nach Nogier wird an empfindlichen Ohrpunkten das Phänomen des RAC durch einen kutivaskulären Reflexablauf ausgelöst, der zu einer sympathikusvermittelten Vasokonstriktion führen soll. Diese manifestiert sich in einer tastbaren Pulsverschiebung. Die Ohrakupunktur wird häufig ergänzend zur Körperakupunktur angewandt, kann aber auch solitär zum Einsatz kommen. Neben der Nadeltechnik bieten sich sowohl die Anwendung eines Softlasers als auch einer Injektionsakupunktur (Nutzen des Sekundenphänomens) an.

Punktauswahl:

Bei der Palpation finden sich häufig schmerzhafte Areale im Verlauf der vegetativen Rinne. Empfohlene Punkte: Shen-Men (55), BWS (39), HWS (37), LWS (40), Analgesiepunkt und Thalamus (26a), Muskelentspannung (98a).

Regelmäßige Bewegung – Qi und Blut fließen lassen

Eine Steigerung der körperlichen Belastbarkeit durch moderaten Ausdauersport ist am besten geeignet, um Muskeln und Sehnen geschmeidig zu halten und einen gleichmäßigen Fluss von Qi und Blut in den Meridianen zu gewährleisten.

Hierfür haben sich das Gesundheits-Qigong (auch Baduanjin genannt) sowie Taijiquan-Übungen bewährt. Durch die aufrechte Haltung der Wirbelsäule, die entspannte Kopfhaltung und das Training der Muskeln sind diese Übungen selbst bei Rückenschmerzen hilfreich. Die Übungen können entweder sanft oder kraftvoll ausgeführt werden.

Dr. Zheng Zhang ist Ärztin für Traditionelle Chinesische Medizin und praktizierende Heilpraktikerin in Essen (China Medic) seit 2001. Sie absolvierte ein 5-jähriges Studium in chinesischer Heilkunde an der Universität für chinesische Medizin und Arzneikunde in Shanghai und verfügt über mehrjährige Berufserfahrung aus ihrer Tätigkeit im staatlichen Krankenhaus von Shanghai und deutschen Arztpraxen. Sie ist Lehrbeauftragte für Akupunktur an der Akademie für ärztliche Fortbildung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und mehrerer Akupunkturgesellschaften sowie für den Bund Deutscher Heilpraktiker e.V. als Tutorin tätig. Des Weiteren hat sie mit ihren Kollegen Dr. Roland Strich und Dr. Thorsten Rarreck das Fachbuch „TCM in der Sportmedizin“ (Haug, 2010) veröffentlicht.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.