DigitalisierungDigitale Gesundheitsanwendungen - Meilensteine der Patientenversorgung?

Täglich werden es mehr: Mit erstattungsfähigen Apps auf Rezept setzt sich die Digitalisierung in der Patientenversorgung fort. Aber es gibt auch Skepsis.

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Gesundheits-Apps sind inzwischen vielfach erstattungsfähig. Es gibt aber auch Skepsis.

„Apps auf Rezept“ haben in kurzer Zeit deutlich gemacht, wie die Digitalisierung für Patient*innen greifbar geworden ist. Mit den erstattungsfähigen Gesundheits-Apps avanciert Deutschland plötzlich zum Vorreiter der Digitalisierung.

Möglich geworden ist dies durch das Digitale-Versorgung-Gesetz. Seit Oktober 2020 prüft, sammelt und aktualisiert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) im DiGA-Verzeichnis. Es werden nur Gesundheits-Apps (oder Browseranwendungen) aufgenommen, die nachweislich zur Erkennung, Behandlung, Überwachung oder Linderung von Krankheiten dienen und die Versorgung der Patienten verbessern. Gesetzliche Krankenkassen erstatten diese dann zunächst für ein Jahr. Die Anforderungen zur Zulassung, die den medizinischen Nutzen der DiGAs nachweisen sollen, sind hoch: Es sind randomisierte kontrollierte Studien, der Goldstandard, erforderlich.

Digitale Helfer

Derzeit sind 24 digitale Gesundheitsanwendungen auf Rezept beim BfArM gelistet und knapp 100 beantragt (Stand Oktober 2021).  Gefragt sind besonders Apps zur Behandlung von psychischen Erkrankungen. Erstattet werden DiGAs u.a. zur Behandlung von Depressionen, Schlaf- und Angststörungen, Arthrose, Multipler Sklerose, bestimmten malignen Erkrankungen und Migräne.
Ziel der Apps ist es, die Gesundheitsversorgung insgesamt zu verbessern. Für die Ärzt*innen sind es digitale Helfer, für die Patent*innen geht es um eine gesündere Lebensführung und mehr Lebensqualität.

„Gesundheits-Apps können das medizinische Angebot in Deutschland sehr gut ergänzen und bringen die Digitalisierung des Gesundheitssystems einen großen Schritt voran“, erläutert Bitkom-Präsident Achim Berg. Eine der ersten erstattungsfähigen DiGAs war die KALMEDA-App, die Erwachsenen mit chronischem Tinnitus eine Verhaltenstherapie bietet; mit Entspannungsanleitungen, beruhigenden Natur- und Hintergrundgeräuschen sowie einem Wissensteil. Das mehrmonatige Programm soll die Belastung durch den Tinnitus reduzieren und Patient*innen den Weg zu einem selbstbestimmten Umgang mit der Erkrankung aufzeigen.

Nachfrage und Nutzen

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) berichtet, dass Versicherte die Digitalen Gesundheitsanwendungen gut annehmen: Ein Jahr nach dem Start haben die Kassen rund 24 000 Zugriffscodes für DiGAs vergeben.
Ärzt*innen erhoffen sich durch die Apps weniger Zettelwirtschaft, Unterstützung bei der Visite, Vermeidung redundanter Dokumentation und zusätzliche Erkenntnisse für die Gesundheitsforschung. Die Daten können künftig auch in der elektronischen Patientenakte (ePa) gespeichert werden.

Doch nicht alle Programme sind aus Sicht der Mediziner zu empfehlen. Für den Vorsitzenden der DiGA-Schiedsstelle, Prof. Jürgen Wasem, wird die zentrale Herausforderung die Nutzenmessung sein. Damit die Akzeptanz bei Ärzt*innen steigt, müssten diese Fragen im Behandlungsalltag fundiert beantwortet werden.

Zweifel an Apps 

Auch bei psychischen Erkrankungen sollen die Apps therapieergänzend oder -ersetzend genutzt werden. Doch Vertragspsychotherapeuten und der GKV-Spitzenverband sind skeptisch gegenüber den bisherigen DiGAs und fordern einen Wirksamkeitsnachweis. Ob das schnelle Fast-Track-Prüfverfahren dies leisten kann, bezweifeln sie.

Die gesetzlichen Krankenkassen kritisieren zudem, einzelne APPs seien in der ersten Phase zu teuer. „Bisherige Erfahrungen mit DiGA zeigen, dass der geforderte Herstellerpreis häufig in einem Missverhältnis zum Patientennutzen steht. Das betrifft insbesondere DiGA, die sich noch in der Erprobung befinden“, sagte vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner.

Die Hersteller wiederum sehen allenfalls Herausforderungen bei der Datenerhebung und der Datenqualität. Sie verweisen darauf, dass die Gesundheits-Apps z.B. bei Patienten mit chronischen Erkrankungen die Compliance, das Selbstmanagement und die Mobilität steigern. Andererseits erkennen Ärzte Risiken, wenn die Anwender*innen sich in den Apps auf einzelne Parameter wie den Blutdruck fokussieren. Dies kann zu Verunsicherung und Angst führen.

Psychologisch kann auch genau das Gegenteil bewirkt werden. Einer Studie zufolge, die in „JMIR mHealth & uHealth“ erschienen ist, gibt es auch bei DiGAs den Placebo-Effekt. Er tritt ein, wenn die Anwender*innen die Informationen zur Wirksamkeit der App bereits vor der Nutzung erfahren. Das könne helfen, weniger Patienten zu verlieren, was eine große Herausforderung bei DiGAs darstellt, so Prof. Gunter Meinschmidt von der IPU Berlin. Auch vor diesem Hintergrund ist es wichtig, Kosten und Nutzen im Auge zu behalten. Nur ein teures Icon auf dem Handy hilft keinem.

Christine Jöricke

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