PsycheAkupunktur in der Psychiatrie – Chancen und Grenzen

Die Studienlage zum Einsatz von Akupunktur bei psychischen Erkrankungen deckt sich häufig nicht mit den positiven Praxiserfahrungen der Behandler. Dennoch ist ihr Einsatz bei vielen Beschwerdebildern vielversprechend.

Akupunkturnadeln werden beim Patienten platziert (Nahaufnahme).
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Akupunktur wird in zunehmendem Umfang an deutschen psychiatrischen Kliniken angeboten.

von Richard Musil, Eva-Maria Hofer, Christoph Colling

Inhalt

Einsatzmöglichkeiten von Akupunktur bei psychiatrischen Störungsbildern

Zukunft der Akupunktur in der Psychiatrie

Psychiatrische Erkrankungen haben in den letzten Jahren eine stetig größer werdende Bedeutung hinsichtlich der Ursachen von Arbeitsunfähigkeiten [1], frühzeitigen Berentungen [2] oder eingeschränkter Lebensqualität [3] erreicht. Die Behandlung psychiatrischer Störungsbilder wird in Kliniken innerhalb eines multiprofessionellen Teams und mit unterschiedlichen Schwerpunkten psychotherapeutisch, psychopharmakologisch und soziotherapeutisch gestaltet. Trotz eines immer vielfältigeren Therapieangebotes, das z. B. auch Hirnstimulationsverfahren einschließt, sprechen viele Patienten nicht auf eine initiale Behandlungsstrategie an, wodurch viele Störungsbilder chronifizieren [4]. Weitere Therapieansätze sind daher dringend notwendig. Hier könnte die Akupunktur eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Sie wird seit etwa 20 Jahren zunehmend in Kliniken der Primärversorgung eingesetzt [5].

Dieser Übersichtsartikel soll den gegenwärtigen Stand der klinischen Forschung zur Akupunktur bei einigen psychiatrischen Störungsbildern darstellen und auf mögliche Chancen und Grenzen für die Zukunft eingehen.

Einsatzmöglichkeiten von Akupunktur bei psychiatrischen Störungsbildern

Organische psychische Störungen

Insbesondere in China wird Akupunktur seit langem bei hirnorganischen Erkrankungen wie Demenz angewandt, und es existiert mittlerweile eine große Zahl an Publikationen. Die Ergebnisse von Arbeiten zur klinischen Wirksamkeit von Akupunktur bei Demenz bleiben jedoch kontrovers. Einige auch neuere Übersichtsarbeiten berichten von einer Wirksamkeit mit Verbesserung kognitiver Funktionen bei Alzheimer-Demenz [6] sowie bei milder kognitiver Störung [7] als möglicher Vorform einer Demenz. Doch die Studienlage wurde von anderen Autoren noch unlängst anders eingeschätzt [8], unter anderem mit Hinweis auf die oft niedrige methodologische Qualität der ausgewerteten Studien.

Zusammenfassung

Akupunktur wird in zunehmendem Umfang an deutschen psychiatrischen Kliniken angeboten. Die Evidenz in der publizierten Literatur hat über die letzten Jahre deutlich zugenommen. Die Qualität der Studien muss sich allerdings weiterhin verbessern, um zu klaren Ergebnissen und Empfehlungen in Metaanalysen zu kommen. Insbesondere bei depressiven Erkrankungen und Traumafolgestörungen könnte Akupunktur durch seine Nebenwirkungsarmut in Zukunft einen größeren Stellenwert gewinnen. Akupunktur lässt sich in unterschiedliche Behandlungsstrategien relativ einfach integrieren. Eine große Hürde stellt allerdings die geringe Verbreitung einer ausreichenden Ausbildung bei Behandlern in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken dar.

Zurückhaltend betrachtet bestehen somit Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit, was zu den aus dem chinesischen Raum berichteten guten klinischen Erfahrungen passen würde. Weitere aussagekräftige Studien werden erforderlich sein, wenn eine klare Empfehlung zur Akupunktur bei dieser Indikation Einzug in entsprechende Leitlinien halten soll, wie dies etwa für die Phytotherapie mit Ginkgo biloba als „Kann-Empfehlung“ der Fall ist [9]. Daneben gibt es vielversprechende Ergebnisse sowohl für Akupressur als auch für Akupunktur zur Behandlung von Begleitsymptomen bei Demenz wie z. B. Agitation oder affektive Symptomen [10].

Auch bei Schlafstörungen, kognitiven Defiziten sowie Depression nach einem Schlaganfall sehen Übersichtsarbeiten eine Wirksamkeit von Akupunktur [11], [12], [13]. Ebenso wird Akupunktur zur Behandlung neuropsychiatrischer Symptome nach mildem Schädel-Hirn-Trauma diskutiert [14]. Sie könnte außerdem nützlich sein, um das Auftreten von postoperativen kognitiven Defiziten zu reduzieren [15]. Einzelne Studien berichteten für die Akupunktur-Stimulation von positiven Effekten bei postoperativem Delir bei alten Menschen [16], [17]. Bei Kindern wurden diesbezüglich uneinheitliche Ergebnisse [18], [19], [20], [21] berichtet.

Störungen durch psychotrope Substanzen und abhängige Verhaltensweisen

Vor einiger Zeit wurde in der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur ausführlich zur Thematik und zur damaligen Studienlage zum Einsatz von Akupunktur bei Substanzabhängigkeit berichtet [22], [23]. Die Suchtmedizin ist vielleicht der Teilbereich der Psychiatrie, in welchem in der westlichen Welt die Akupunktur die größte Verbreitung gefunden hat. Historisch sei hier insbesondere auf die Erstbeschreibung positiver Effekte in den 1970er Jahren [24] sowie auf die nachfolgende Entwicklung der Behandlung nach dem Protokoll der NADA (National Acupuncture Detoxification Association) als pragmatische Form standardisierter Ohrakupunktur in der Gruppe [25] verwiesen, die mittlerweile sowohl international als auch in deutschen psychiatrischen Kliniken und Suchthilfeeinrichtungen häufig implementiert ist [5].

Die Studienlage für den Einsatz von Akupunktur in der Suchtmedizin steht im deutlichen Gegensatz zu den subjektiv guten klinischen Erfahrungen der Behandler.

In der klinischen Anwendung wurde dabei sowohl von Behandelnden eine Linderung von Entzugserscheinungen beobachtet [26] als auch die Behandlung von den Behandelten selbst als hilfreich erlebt [27]. Auch hinsichtlich der Elektrostimulation von Körperpunkten wurden klinische Erfolge in der Behandlung von Drogenabhängigen berichtet [28]. Es existieren Hinweise aus klinischen Studien für eine mögliche Wirksamkeit von Akupunktur in Bezug auf verschiedene Endpunkte, z. B. Entzugssymptomatik, „Craving/Suchtdruck“, Substanzgebrauch, affektive Symptome; variierend je nach Indikation. Das gilt insbesondere bei Störungen in Bezug auf den Konsum von Alkohol, Opioiden und Tabak/Nikotin. Eine definitive Wirksamkeit von Akupunktur und verwandten Verfahren kann jedoch in Übersichtsarbeiten nicht nachgewiesen werden. Dazu wurde oftmals die methodologische Qualität entsprechender Studien kritisiert [29], [30], [31], [32], [33], [34], [35], [36], [37], [38], [39], [40]. Damit ist die Studienlage deutlich diskrepant zu den subjektiv guten klinischen Erfahrungen der Behandler, was auch hinsichtlich des Studiendesigns diskutiert wurde [41], [42].

Zusammengefasst besteht also kein klarer Wirksamkeitsnachweis für die Akupunktur in der Suchtmedizin. Diese im Sinne einer langjährig gewachsenen Erfahrungsheilkunde als Element im multimodalen Behandlungskonzept – insbesondere im qualifizierten Entzug [43] – beizubehalten, muss damit jedoch nicht in Zweifel gezogen werden.

Affektive Störungen

Die sicherlich größte Evidenz zur klinischen Wirksamkeit von Akupunktur besteht in der Behandlung depressiver Störungsbilder. Mehrere systematische Reviews und Metaanalysen kommen mittlerweile zu dem Schluss, dass Akupunktur gegenüber einer Behandlung mit Sham-Verfahren eine positive Wirkung auf depressive Symptome hat [44], [45], [46], [47], [48]. Dabei zeigt sich die beste Wirkung nach derzeitigem Wissensstand in einer Kombination aus (Elektrostimulations-)Akupunktur und Gabe eines Antidepressivums [44]. Hierunter kommt es auch zu einer rascheren Verbesserung der depressiven Symptome als unter Behandlung mit Antidepressiva allein [49]. Die methodische Qualität der eingeschlossenen Studien und auch der Metaanalysen muss allerdings weiterhin besser werden. Der Grad der Evidenz wurde demnach bislang nur als gering bis sehr gering eingestuft [45], [47], [48], [50].

Daneben gibt es Hinweise für eine positive Wirkung von Akupunktur bei therapieresistenten Depressionen [51] und depressiven Störungen während der Schwangerschaft [52], [53]. Ungeklärte Fragen bestehen in Bezug auf die Frequenz der Akupunkturbehandlungen oder die Frage, ob eine Elektrostimulationsakupunktur (ESA) einer manuellen Akupunktur überlegen ist oder umgekehrt. Des Weiteren verwenden die Studien z. T. sehr unterschiedliche Ansätze hinsichtlich der Punktauswahl, wobei sehr viele Therapiekonzepte die Punkte Baihui (Lenkergefäß 20) und Yintang (Extrapunkt Kopf-Hals 3) einschließen [54].

Angststörungen

Einer Umfrage zufolge werden Angststörungen im klinischen Alltag in deutschen psychiatrischen Kliniken häufiger mit Akupunktur behandelt [5]. Dem steht eine bislang eher geringe Anzahl an Wirksamkeitsstudien gegenüber. Dennoch kamen mehrere Review-Arbeiten zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von Akupunktur bei generalisierter Angststörung einen positiven Effekt haben kann [55], [56], [57], [58], [59]. Allerdings müssen diese Ergebnisse aufgrund der heterogenen Methodik der ausgewerteten Studien unter Vorbehalt betrachtet werden. In einzelnen Untersuchungen fand sich unter Akupunktur ein Rückgang der Angstsymptomatik auch bei Patienten, die unter einer chronischen und therapieresistenten Angststörung litten [60], und eine Reduktion von Angst und depressiven Symptomen während eines Metamphetaminentzuges [61].

Zusätzlich liegen Untersuchungen zum Effekt von Akupunktur auf Angsterleben bei periinterventionellen Situationen vor [62] [63]. Im Falle von perioperativer Angst könnte der Einsatz von Ohrakupunktur [58] oder Ohrakupressur [64] hilfreich sein. Dies gilt ebenso bei Angst vor Zahnbehandlungen [65], [66]. Der positive Effekt der Akupunktur entsprach in letztem Fall etwa dem einer Behandlung mit Midazolam [66]. Bei Frauen, die unter Angst im Rahmen eines prämenstruellen Syndroms litten, zeigte sich unter Akupunkturbehandlung eine Abnahme der Angst- sowie der depressiven Symptomatik [67]. Auch zur Behandlung von Prüfungsangst konnten erste positive Effekte in der Anwendung von Ohrakupunktur belegt werden [68], [69].

Traumafolgestörungen

In der Behandlung von Traumafolgestörungen wurde die Wirkung von Akupunktur in drei wesentlichen Bereichen untersucht:

  1. zur akuten Linderung nach einem traumatischen Ereignis wie einer Umweltkatastrophe oder in kriegerischen Handlungen,
  2. zur Verbesserung einzelner Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung und
  3. zur Begleitung einer Exposition nach erfolgter Traumatisierung.

Unmittelbar nach traumatischen Ereignissen stehen pragmatische Ansätze wie das NADA-Protokoll, die „Battlefield Acupuncture“ oder andere Ohrakupunkturformen häufig im Vordergrund. Eine Übersichtsarbeit fand eine niedrige Evidenz für eine Wirkung von Akupunktur in Akutsituationen; randomisierte, kontrollierte Studien existieren bislang nur sehr wenige [70]. Hinsichtlich symptomatischer Ansätze zeigte sich Akupunktur wirksam auf traumaassoziierte Symptome wie Schlafstörungen [71], Ängste, Depression [72], aber auch auf Intrusionen oder Hyperarousal. Systematische Reviews und Metaanalysen sehen die Akupunktur als durchaus vielversprechende neue Methode, bemängeln jedoch die noch unzureichende methodische Qualität der Studien [73], [74].

Die Therapie der Wahl einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist nach der S3-Leitlinie eine Psychotherapie mit Exposition [75]. Bislang gibt es dazu keine randomisierten, kontrollierten Studien, die Akupunktur im Rahmen einer Exposition einsetzen, allerdings wurden interessante Therapieansätze beschrieben, die aktuell weiter untersucht werden [76].

Schlafstörungen

Eine Übersichtsarbeit stellte für die Behandlung von Patienten, die unter Depression und Schlafstörungen litten, einen besseren Outcome bei der Kombination von Akupunktur und westlichen Ansätzen fest als durch die alleinige Anwendung von Psychopharmaka [77]. Auch eine Übersichtsarbeit zur Behandlung der perimenopausalen Insomnie kam zu dem Ergebnis, dass eine Kombination aus Akupunktur und Benzodiazepin (BZA) der alleinigen Anwendung von BZA überlegen ist [78]. Eine signifikante Überlegenheit von Akupunktur gegenüber Sham-Interventionen konnte in einer Metaanalyse bestätigt werden, die 13 Studien einschloss [79]. In einer Studie aus dem Jahr 2013, in denen postmenopausale Frauen mit Schlafstörungen eingeschlossen wurden, konnte nach Akupunkturbehandlung in der Polysomnografie eine Zunahme der Schlafstadien 3 und 4 sowie insgesamt eine deutliche Verbesserung der Schlafqualität im Vergleich zur Gruppe, die mit Sham-Akupunktur behandelt wurde, beobachtet werden [80]. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine jüngere Studie aus dem Jahr 2017 [81].

Fallbeispiel: Patientin mit Depression

Eine 60-jährige Patientin stellt sich mit einer abklingenden depressiven Symptomatik bei bestehender Belastung durch sexuellen Missbrauch in der Kindheit vor. Die Patientin wurde kurz zuvor aus tagesklinischer Therapie entlassen und erhielt davor stationär neben einer intensiven psychopharmakologischen Behandlung auch 12 Sitzungen EKT.

Hierunter zeigte sich die schwere depressive Symptomatik erstmals rückläufig. Neben der depressiven Störung besteht seit 15 Jahren eine Fibromyalgie und somatoforme Störung. Als Kind musste die Patientin mit ihren Geschwistern und der Mutter vor dem zunehmend gewalttätigen Vater flüchten.

Die Patientin wurde nach informiertem Einverständnis über 8 Sitzungen mit der akupunkturbasierten Exposition (ABE) nach Dr. J. Schottdorf behandelt [76]. Dabei imaginierte sie gewaltsame Situationen aus der Kindheit und exponierte das Bild des Vaters als Haupttäter. Die aufkommenden Körperempfindungen und Emotionen wurden mittels Akupunktur behandelt und aufgelöst. Die imaginierten Bilder waren im Anschluss jeweils noch als stattgehabte Erinnerung abrufbar, jedoch ohne emotionale Belastung daran. Ohne auf diese mit der Akupunktur direkt abzuzielen, verbesserte sich auch die Schmerzsymptomatik der Patientin. Sie berichtete nach Abschluss der Sitzungen, keine Traumabelastung mehr zu verspüren.

In diesem Fallbeispiel zeigt sich, wie Akupunktur nach einer schweren depressiven Episode eingesetzt werden kann, um die erreichte Verbesserung durch Bearbeitung frühkindlicher Traumatisierungen weiter zu stabilisieren. Akupunktur als Begleitung einer Exposition eignet sich den klinischen Erfahrungen der Autoren nach sehr gut, um auch sehr schambehaftete Bilder wie bei sexuellem Missbrauch behutsam zu exponieren und die belastenden Emotionen und Körperempfindungen abzumildern. Hierdurch konnte die Reintegration in das Erwerbsleben erfolgreich unterstützt werden.

Mehrere Übersichtsarbeiten [82] stellten fest, dass es sich bei der Akupunktur um ein effektives und sicheres Verfahren in der Behandlung von Schlafstörungen handelt [83], [84], [85]. Dazu kamen einige Reviews zu dem Schluss, dass auch der Einsatz der Ohrakupunktur bei Schlafstörungen eine positive Wirkung haben könnte [86], [87], [88], [89]. Allerdings ist die Studienqualität heterogen und die Aussagekraft der Studien dadurch oft limitiert [83], [90], [91], [92], [93], [94].

Weitere Störungsbilder

In der Behandlung schizophrener Erkrankungen zeigte sich Akupunktur in systematischen Reviews über bis zu 26 Studien (1181 Patienten) [95], [96] sowie in einer Cochrane-Metaanalyse (30 Studien) [97] bislang nur begrenzt wirksam auf die psychotische Symptomatik. Es gibt allerdings Hinweise für positive Effekte auf begleitende Schlafstörungen [95], kognitive Störungen [98] und auch eine geringere Nebenwirkungsrate unter der Kombination von Akupunktur und Antipsychotika [97].

Ein interessanter Ansatz ist die adjuvante Behandlung schizophrener Patienten mit ESA und Elektrokonvulsionstherapie (EKT) unter begleitender Antipsychotika-Therapie, wodurch die Verträglichkeit gebessert werden konnte [99].

Eine aktuelle Metaanalyse konnte erste Hinweise auf eine Wirksamkeit von Akupunktur bei ADHS zeigen [100]. Die Qualität vieler Studien ist allerdings bislang nicht ausreichend, um klare Empfehlungen auszusprechen [101], [102].

Wenige Studien zeigen eine mögliche Wirkung von Akupunktur bei Zwangsstörungen [103]. Für die klinische Praxis konnte auch hier in einer Studie eine Wirkverstärkung konventioneller Therapiemethoden bei Abnahme von Nebenwirkungen durch Akupunktur gefunden werden [104].

Wirkweise von Akupunktur im psychiatrischen Kontext

Die Wirkmechanismen von Akupunktur bei psychiatrischen Störungsbildern wurde mittlerweile in zahlreichen Grundlagenexperimenten, Bildgebungsstudien und Tierversuchen untersucht. Dabei zeigten sich beispielsweise durch ESA bei depressiven Störungen eine Förderung von Neurogenese und synaptischer Plastizität, Reduktion proinflammatorischer Zytokine, Modulation monoaminerger Neurotransmission [105], [106] und von Neuropeptiden sowie Einfluss auf intrazelluläre Signalwege oder Expression bestimmter Gene neben einem positiven Einfluss auf die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse (zum Überblick siehe [107]). Ähnliche Effekte wurden auch in Studien zur PTBS gefunden [108], [109].

In Bildgebungsstudien zeigte sich eine Deaktivierung in limbisch-paralimbisch-neokortikalen Netzwerken durch Akupunktur. Eine Aktivierung limbischer Hirnareale wie der Amygdala ist mit verstärkter Emotionalität und Stressantwort assoziiert, sodass eine Beruhigung dieser Strukturen einen Teil der Effekte von Akupunktur auf psychiatrische Erkrankungen erklären könnte [110]. Als möglicher Wirkmechanismus der Akupunktur bei Abhängigkeit wird u. a. eine neurobiologische Wirkung auf das Belohnungszentrum diskutiert [111]. Bei neurokognitiven Störungen, wie z. B. Demenz, scheint Akupunktur u. a. über eine Wirkung auf die Neuroplastizität via BDNF einen positiven Einfluss auszuüben [112], [113], [114], [115].

Zukunft der Akupunktur in der Psychiatrie

Wie aus den Ausführungen zur Wirksamkeit von Akupunktur bei psychiatrischen Störungsbildern zu sehen, existiert mittlerweile eine große Fülle an Studien, die eine breite Wirksamkeit von Akupunktur nahelegen. Die methodische Qualität hat insgesamt zugenommen, und Protokolle zu geplanten Studien oder Metaanalysen werden vorab publiziert. In den nächsten Jahren kann mit vielen neuen und interessanten Ergebnissen gerechnet werden.

Eine große Herausforderung besteht in der bislang unzureichenden Verbreitung einer Ausbildung in Akupunktur, um diese verstärkt im klinischen Alltag einsetzen zu können. Die Nebenwirkungsarmut [116], [117] und die vergleichbar einfache Implementierung von Akupunktur in Kombination mit allen anderen gängigen Therapieverfahren in der Psychiatrie bieten der Akupunktur die Chance, auch in spezifischen Therapiesituationen zum Einsatz zu kommen, z. B. zur Reduktion von Nebenwirkungen von Psychopharmaka wie Gewichtszunahme [118], Übelkeit oder sexuellen Dysfunktionen bzw. zur Augmentation der Wirkung von Psychopharmaka als zusätzliches Therapieelement.

Dr. med. Richard Musil 
Dozent der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur und Leiter der Fachkommission „Akupunktur in der Psychiatrie“ sowie NADA-Trainer. 

Eva Maria Hofer
Assistenzärztin 

Christoph Colling
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (VT, EMDR), Akupunktur, Naturheilverfahren, Suchtmedizin und Traumatherapie.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Das Literaturverzeichnis finden Sie hier.