ZuckerWie sinnvoll ist eine Zuckersteuer?

Die Zuckersteuer ist ein umstrittenes Thema. Die Ausführungen sollen mehr Klarheit in den Zuckernebel bringen und einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten.

Zuckerwürfel auf Geldmünzen gestapelt.
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Die Menge macht's: Eine Zuckersteuer würde je nach ihrem prozentualen Zuckergehalt die Lebensmittel unterschiedlich teurer machen.

von Franz-Werner Dippel

Kernaussagen

Der übermäßige Verzehr von zugesetztem Zucker geht mit zahlreichen gesundheitlichen Risiken einher. Stark verarbeitete Fertigprodukte enthalten neben großen Zuckermengen häufig auch zu viel Fett, Salz und künstliche Zusatzstoffe. Die Besteuerung von industriell hergestellten Fertiggerichten nach dem Grad der Verarbeitung könnte eine Ernährungswende unterstützen.

Über Art und Umfang der Sondersteuer gibt es bisher kein schlüssiges Konzept. Uneinigkeit herrscht insbesondere hinsichtlich der Fragen, welche Zuckerarten bzw. gesüßten Produkte überhaupt besteuert werden sollten und wie eine solche Besteuerung ausgestaltet werden könnte.

Schlechte Noten für den Zucker

Aus zahlreichen Studien wissen wir, dass Zucker eines der größten Gesundheitsrisiken in unserer Ernährung darstellt [1]. Deshalb empfiehlt die WHO, höchstens 5 Energie-% des täglichen Kalorienbedarfs in Form von zugesetztem Zucker zu sich zu nehmen [2]. Bei einem normalgewichtigen Erwachsenen entspricht das etwa 8 Stück Würfelzucker pro Tag (ca. 25 g). Der durchschnittliche Zuckerverzehr der Deutschen liegt jedoch aktuell bei dem Vierfachen [3].

Zucker – das süße Kristall

Haushaltszucker

Wenn Verbraucher von „Zucker“ sprechen, meinen sie gewöhnlich den weißen, kristallinen Zucker aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr. Er wird umgangssprachlich auch als Haushalts-, Streu- oder Kristallzucker bezeichnet und in verschiedenen Zubereitungen angeboten (z. B. Würfel-, Kandis-, Puder- und Gelierzucker). Beim Haushaltszucker handelt es sich um einen Zweifachzucker (Disaccharid), der zu je einem Teil aus Traubenzucker (Glukose) und Fruchtzucker (Fruktose) besteht, die chemisch fest miteinander verbunden sind. Wissenschaftler bezeichnen dieses Doppelmolekül als Saccharose.

Merke

Kristallzucker wird sowohl im Haushalt als auch in großen Mengen in der industriellen Nahrungsmittelproduktion eingesetzt.

Stärkezucker – der preiswerte Rivale

Seit 1972 lässt sich „Zucker“ enzymatisch auch aus Mais gewinnen [4]. Aus lebensmittelrechtlichen Gründen darf der so gewonnene Maissirup jedoch nicht als Zucker bezeichnet werden. Lebensmittelchemiker sprechen hier von Glukosesirup bzw. Isoglukose. Häufiger wird auch der Oberbegriff „Stärkezucker“ verwendet, da Isoglukose auch aus anderen stärkehaltigen Getreidearten (Weizen, Hirse, Reis) sowie aus Kartoffeln gewonnen werden kann. Isoglukose ist ein Gemisch aus den beiden Einfachzuckern Glukose und Fruktose. Das Mischungsverhältnis der beiden Einzelmoleküle (Monosaccharide) lässt sich im Herstellungsprozess beliebig variieren. Überwiegt der Glukoseanteil, so wird das Produkt als Glukose-Fruktose-Sirup bezeichnet, im umgekehrten Fall als Fruktose-Glukose-Sirup.

Merke

Maissirup wird fast ausschließlich von der Industrie zum Süßen von Fertiggerichten, Back- und Wurstwaren, Naschereien und Getränken verwendet.

Malzzucker – nicht nur im Bier

Aus Getreidestärke lassen sich durch andere Herstellungsverfahren weitere Zuckerarten gewinnen. Einer davon ist Malzzucker (Maltose), der umgangssprachlich auch als Bierzucker bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um ein Doppelmolekül (Disaccharid), das aus zwei Molekülen Traubenzucker (Glukose) zusammengesetzt ist. Wird die Stärke nicht vollständig zu Malzzucker umgewandelt, entsteht ein Zuckergemisch aus kurz- und mittelkettigen Stärkeabbauprodukten, das als Malzextrakt oder Maltodextrin bezeichnet wird.

Von der Nahrungsmittelindustrie wird Malzextrakt bevorzugt in Backmischungen, Fertigmehlen, Cerealien, Teig- und Süßwaren, Kartoffelprodukten und Getränken eingesetzt. Darüber hinaus findet er als Fettaustauschstoff in Lightprodukten sowie als Füllstoff und Verdickungsmittel in zahlreichen Fertiggerichten Verwendung.

Exotische Zuckerpflanzen

Neben Zuckerrüben, Zuckerrohr, Getreide und Kartoffeln gibt es noch weitere Pflanzen, aus denen Zucker gewonnen wird. Zu den bekanntesten gehören Agaven, Ahorngewächse sowie diverse Palmenarten. Die daraus gewonnenen Pflanzensirupe (z. B. Agaven-, Ahorn- und Dattelsirup) bzw. Pflanzenzucker (z. B. Kokosblütenzucker, Palmzucker) bestehen ebenfalls aus den bereits bekannten Zuckerarten Saccharose, Glukose und Fruktose in unterschiedlichen Mengen und Mischungsverhältnissen. Sie werden als vermeintliche Zuckeralternativen bevorzugt in privaten Haushalten eingesetzt. Aus Kostengründen findet man derart pflanzliche Süßungsmittel in industriellen Fertigprodukten eher selten.

Früchte als Zuckerquelle

Aufgrund ihrer niedrigen Zuckerkonzentration sowie ihrer aufwendigen Verarbeitung werden Obst und Beeren nicht zur Gewinnung von Reinzucker herangezogen. Durch Eindicken von Fruchtsäften kann man sie jedoch zu zuckerhaltigen Konzentraten verarbeiten (Traubensüße, Birnendicksaft, Bananenmark etc.). Derartig angereicherte Fruchtkonzentrate haben sich sowohl in der Getränke- als auch in der Nahrungsmittelindustrie als Süßungsmittel etabliert. Sie enthalten die Zuckerarten Saccharose, Glukose und Fruktose in unterschiedlichen Konzentrationen.

Zahlreiche Obst- und Beerensorten werden außerdem durch Dörren zu Trockenfrüchten verarbeitet. Man verwendet sie sowohl in der Lebensmittelindustrie als auch in Privathaushalten zum Süßen von Speisen. Dazu gehören vorwiegend Rosinen, Cranberrys, Aprikosen, Backpflaumen, Datteln und Feigen. Trockenfrüchte enthalten ebenfalls die bereits bekannten Zuckerarten Glukose, Fruktose und Saccharose.

Milch und Honig

Neben den zahlreichen pflanzlichen Zuckerquellen gibt es auch zwei tierische Zuckerquellen. Beim Milchzucker (Laktose) handelt es sich um ein Doppelmolekül aus Traubenzucker (Glukose) und Schleimzucker (Galaktose). Der Laktosegehalt von Vollmilch liegt bei ca. 4,7%. Damit fällt Kuhmilch in die Klasse der Lebensmittel, die offiziell als zuckerreduziert gelten. Milchprodukte können jedoch, je nach Art der Verarbeitung, mehr oder weniger natürlichen Milchzucker enthalten.

Reiner Milchzucker dient in der industriellen Nahrungsmittelproduktion als Süßungsmittel, Füllstoff, Bindemittel, Konservierungsstoff und Geschmacksverstärker in Back-, Wurst- und Süßwaren sowie in vielen Fertigprodukten.

Honig ist das zuckerreiche Ausscheidungsprodukt aus dem Honigmagen der Bienen. Er besteht zu etwa gleichen Teilen aus den beiden Einfachzuckern Glukose und Fruktose sowie einer geringen Menge des Zweifachzuckers Saccharose. Pro Kopf verzehren die Deutschen jährlich etwa 1 kg reinen Honig. In der Nahrungsmittelproduktion wird er aus Kostengründen nur selten verwendet.

Merke

Aus Kostengründen verwendet die Lebensmittelindustrie eher Haushaltszucker, Stärkezucker oder Malzzucker und weniger die süßen Alternativen aus exotischeren Pflanzen, Früchten oder Honig.

Zucker ist nicht gleich Zucker

Wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft bzw. Herstellung müssen die genannten Zuckerarten auf der Verpackung von Fertigprodukten getrennt ausgewiesen werden. Sowohl für Haushalts-, Mais- und Malzzucker als auch für Pflanzen-, Obst- und Milchzucker gibt es zahlreiche Bezeichnungen. Bei den meisten Zuckerarten taucht der Begriff Zucker gar nicht im Namen auf (Glukose, Saccharose, Dextrose, Maissirup, Isoglukose, Fruktosesirup, Gerstenmalz, Rübenkraut, Bananenmark, Apfelpüree, Laktose, Magermilchpulver, Molkenpulver etc.). In der Nährwerttabelle werden die unterschiedlichen Ein- und Zweifachzucker summiert und mengenmäßig als Untergruppe der Gesamtkohlenhydrate ausgewiesen, egal aus welcher Quelle sie stammen. Um also den Gesamtzuckergehalt eines Fertigprodukts zu ermitteln, lohnt ein genauer Blick auf die Nährwerttabelle. Die Zutatenliste hingegen gibt Aufschluss darüber, um welche Zuckerart bzw. -quelle es sich handelt.

Zwischenfazit

Es gilt also festzuhalten, dass unser Nahrungszucker lediglich aus den drei Zweifachzuckern (Saccharose, Maltose, Laktose) sowie deren Komponenten Glukose, Fruktose und Galaktose besteht (Tab. 1).

Glukose kommt als Baustein in allen drei Zweifachzuckern vor und ist damit der häufigste Einfachzucker in unserer Nahrung. Rechnet man die Glukose aus den stärkehaltigen Lebensmitteln (z. B. Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln) noch hinzu, so wird schnell deutlich, dass Glukose die zentrale Rolle im menschlichen Kohlenhydratstoffwechsel spielt. Das lässt sich auch daran erkennen, dass Glukose von allen Körperzellen als Energiequelle genutzt werden kann. Fruktose und Galaktose dagegen werden vom Körper je nach Bedarf in Glukose, Glykogen oder Fett umgewandelt und tragen auf diese Weise ebenfalls zu Übergewicht sowie zur Entwicklung von Zivilisationserkrankungen bei.

Ausgestaltung einer Zuckersteuer

In Anbetracht der geschilderten Fakten sollte eine Zuckersteuer auf Fertigprodukte alle eingesetzten Mono- und Disaccharide berücksichtigen, unabhängig davon, aus welcher Quelle sie stammen.

Merke

Als Bemessungsgrundlage für den Steuersatz sollte der in der Nährwerttabelle ausgewiesene Gesamtzuckergehalt gelten.

 In Anlehnung an die Empfehlungen des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) sollten drei Steuerklassen gebildet werden:

  1. Zuckergehalt bis 5,0%: Zuckersteuer 5%
  2. Zuckergehalt bis 12,5%: Zuckersteuer 10%
  3. Zuckergehalt>12,5%: Zuckersteuer 20%

Für Getränke gilt der halbe Zuckergehalt als Bemessungsgrenze.

In die höchste Steuerklasse von 20% würden neben Softdrinks, Limonaden, Fruchtsäften und Smoothies auch alle Süßungsmittel fallen, die als Zutaten zum Kochen oder Backen im Privathaushalt eingesetzt werden (Haushaltszucker, Pflanzenzucker bzw. -sirupe, Honig, Dicksäfte, Trockenfrüchte etc.).

Lediglich frisches Obst sowie naturbelassene Tiefkühlfrüchte und -beeren werden von der Zuckersteuer ausgenommen. Sie enthalten Glukose, Fruktose und Saccharose in natürlichen Konzentrationen und sind darüber hinaus von Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralien, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen begleitet.

Merke

An den Verzehr von zuckerhaltigen Früchten hat sich unser Organismus im Laufe der Evolution angepasst.

Geänderte Rezepturen notwendig

Um denselben Geschmack zu erzielen, müssten die Hersteller die Rezepturen ihrer Fertigprodukte und Getränke überdenken. Dort, wo es problemlos möglich ist, werden sie vermutlich herkömmliche Süßungsmittel durch Zuckeraustauschstoffe sowie synthetische Süßstoffe ersetzen. Diese Entwicklung zeigt sich zumindest in solchen Ländern, in denen es bereits eine Zuckersteuer gibt. Es ist deshalb sinnvoll, an dieser Stelle einen kurzen Blick auf die verfügbaren Zuckeralternativen zu werfen.

Zuckerersatzstoffe

Süßer Irrtum

Unter den Oberbegriff Zuckerersatzstoffe fallen Substanzen, die den süßen Geschmack des Zuckers mitbringen, allerdings keine echten Kohlenhydrate sind. In der EU sind bislang 8 Zuckeraustauschstoffe sowie 11 synthetische Süßstoffe zugelassen. Ihre Einsatzmöglichkeiten sowie die maximal zulässigen Höchstmengen sind in der Lebensmittelzusatzstoff-Verordnung geregelt.

Merke

Abgesehen von der chemischen Differenzierung fallen alle Zuckerersatzstoffe in die Kategorie der Lebensmittelzusatzstoffe und sind durch eine E-Nummer gekennzeichnet.

Bei den Zuckeraustauschstoffen handelt es sich um zuckerähnliche Substanzen. Chemiker bezeichnen sie als Zuckeralkohole. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Zuckerarten enthalten sie etwa halb so viele Kalorien oder weniger. Gängige Vertreter sind Sorbit (E 420), Erythrit (E 968) und Xylit (E 967). In größeren Mengen verzehrt, verursachen Zuckeraustauschstoffe Verdauungsbeschwerden, wie z. B. Blähungen und Durchfall [5].

Künstliche Süßstoffe werden i.d.R. vollsynthetisch hergestellt. Sie besitzen eine vielfach höhere Süßkraft als herkömmliche Zucker. Zu den synthetischen Süßstoffen zählen Substanzen wie Aspartam (E 951), Cyclamat (E 952) und Saccharin (E 954). Sie enthalten zwar keine Kalorien, ihnen werden aber gesundheitsschädliche Wirkungen auf die Darmflora sowie allergene Eigenschaften zugeschrieben. Auch der Krebsverdacht konnte bisher noch nicht endgültig ausgeräumt werden [6].

Seit mehr als 10 Jahren ist auch Stevia als Süßstoff E 960 in der EU zugelassen. Trotz der pflanzlichen Herkunft wird Stevia aufgrund seiner chemischen Struktur den synthetischen Süßstoffen zugeordnet. Stevia ist kalorienfrei. Seine Süßkraft ist ca. 300-mal stärker als die von Haushaltszucker.

Bisher keine Trendumkehr

Welchen gesundheitlichen Vorteil hätten wir durch die Substitution von traditionellen Süßungsmitteln durch Zuckerersatzstoffe? Vermutlich keinen! Bisher konnte lediglich gezeigt werden, dass die Einführung einer Zuckersteuer zu einem messbaren Absatzrückgang bei Softdrinks geführt hat [7]. Der epidemiologische Nachweis einer relevanten Reduktion von Übergewicht, Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes steht jedoch noch aus. Eine Metaanalyse beobachtete sogar eine Gewichtszunahme unter dem Konsum von süßstoffhaltigen Getränken bei Kindern sowie im Tierversuch [8]. Grund dafür könnte sein, dass der süße Geschmack der künstlichen Zuckeralternativen die Freisetzung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse anregt [9]. Die daraus resultierende Unterzuckerung erzeugt Heißhunger und führt in der Folge zur Aufnahme von Energie aus anderen Nahrungsquellen. Den appetitsteigernden Effekt der Zuckerersatzstoffe macht man sich schon seit Langem in der Schweine- und Rindermast zunutze [10].

Merke

Die skizzierte Datenlage legt nahe, dass die Einführung einer singulären Zuckersteuer vermutlich zu kurz greift. Für eine abschließende Beurteilung ist es jedoch noch zu früh.

 Es bleibt also abzuwarten, zu welchen Ergebnissen weitere Studien führen.

Ernährungspolitische Gesamtstrategie notwendig

Da industriell hergestellte Fertigprodukte neben Zucker i.d.R. gleichzeitig auch noch weitere stark verarbeitete Zutaten enthalten, wie z. B. modifizierte Stärke, gehärtete und umgeesterte Fette, Proteinextrakte, Salz und zahlreiche E-Stoffe, könnte eine Besteuerung von Lebensmitteln, die sich am Grad der Verarbeitung orientiert („gesunde Mehrwertsteuer“), möglicherweise eine stärkere gesundheitliche Wirkung in der Bevölkerung entfalten, als es eine isolierte Zuckersteuer kann. Eine neue Methode zur Einteilung von Lebensmitteln anhand ihres Verarbeitungsgrades ist die sogenannte NOVA-Klassifikation. Sie wurde von einer Forschungsgruppe um Professor Carlos A. Monteiro der Universität São Paulo entwickelt und könnte ebenfalls als Bemessungsgrundlage zur Besteuerung stark verarbeiteter Fertigprodukte herangezogen werden [11].

Besteuerung nach dem Verarbeitungsgrad

Die NOVA-Klassifikation teilt Lebensmittel in eine von 4 Gruppen ein:

  • Zur ersten Gruppe gehören frische, naturbelassene Lebensmittel bzw. solche, die durch häusliche Zubereitungsmethoden, wie z. B. Kochen, Backen oder Fermentieren, genießbar gemacht werden. Hierunter fallen Obst, Salat, Gemüse, Kräuter, Pilze, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse, Kerne, Samen, Eier, Milch, Joghurt, Quark, Käse, Vollkornbrot, Geflügel, Fisch, Fleisch und Innereien sowie Tee und Kaffee.
  • Zur zweiten Gruppe gehören industriell hergestellte Zutaten, die zur Zubereitung von Speisen und Gerichten verwendet werden. Dazu gehören pflanzliche Öle, tierische Fette, Weißmehl, Backpulver, Kartoffelstärke, Kristall-, Stärke- und Pflanzenzucker, natürlich süßende Zutaten (Honig, Sirup), Essig und Salz. Solche Zutaten werden i.d.R. nicht allein verzehrt.
  • Zur dritten Gruppe gehören Nahrungsmittel, die durch industrielle Verarbeitungsschritte sowie durch Zusatzstoffe haltbar gemacht oder in ihrem Geschmack verändert wurden. Hierzu zählen Konserven aller Art sowie Wein und Bier.
  • Die hochverarbeiteten Nahrungsmittel der vierten Gruppe setzen sich vorwiegend aus Bestandteilen der Gruppen 2 und 3 zusammen. Die einzelnen Komponenten werden mithilfe von Additiven wie Emulgatoren, Bindemitteln, Geschmacksverstärkern und Farbstoffen zu Kunstprodukten zusammengesetzt, die in der Natur so nicht vorkommen. Beispiele sind Kartoffelchips, Cornflakes, Dauerbackwaren, Nuss-Nougat-Cremes, Milch-Mischprodukte, Konfitüre, Streichfette, Süßigkeiten, Trinknahrung, Limonaden, Wurstwaren, Fischstäbchen sowie zahlreiche vegane Käse-, Wurst- und Fleischalternativen.

Durch Studien untermauert

Der Zusammenhang zwischen dem Konsum hochverarbeiteter Fertigprodukte und der Entwicklung von Übergewicht, Fettleibigkeit und Zivilisationskrankheiten ist bereits seit Jahrzehnten bekannt [12] [13]. Die Beziehungen waren häufig mengenabhängig, was als Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang interpretiert werden kann [14]. Neuere Studien wurden mithilfe der NOVA-Klassifikation durchgeführt; älteren Untersuchungen liegen vergleichbare Einteilungen der Nahrungsmittel zugrunde.

Ergebnisse aktueller epidemiologischer Studien zeigen darüber hinaus, dass der Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung kardio-metabolischer Erkrankungen sowie für eine verkürzte Lebenserwartung ist [15] [16]. In einer aktuellen Kohortenstudie mit 23000 Teilnehmenden aus Italien war die Gesamtsterblichkeit in der Gruppe mit dem ungünstigsten NOVA-Score um 19%, die kardiovaskuläre Mortalität um 27% und die Sterblichkeit aufgrund anderer Ursachen (außer Krebs) um 37% erhöht [17].

In einer randomisiert kontrollierten Studie konnte mittlerweile auch belegt werden, dass die Beziehung zwischen dem Konsum von stark verarbeiteten Fertigprodukten und der Entwicklung von Übergewicht kausaler Natur ist [18]: Forscher des amerikanischen National Institutes of Health gaben gesunden Probanden jeweils zwei Wochen lang ausschließlich hochverarbeitete Nahrungsmittel und zwei Wochen lang unverarbeitete Nahrungsmittel zu essen. In beiden Gruppen durfte jeder so viel essen, wie er wollte. Von den hochverarbeiteten Nahrungsmitteln aßen die Probanden täglich 500 kcal mehr als von den frischen Nahrungsmitteln. Das führte in der Interventionsgruppe zu einer Gewichtszunahme von 1 kg innerhalb von zwei Wochen. Die Kontrollgruppe nahm im gleichen Zeitraum 1 kg ab.

Am Geldbeutel ansetzen

Aus der Verhaltensökonomie ist bekannt, dass Menschen auf Bonus- bzw. Anreizsysteme, wie z. B. Geld und Sachprämien, gut ansprechen. Stark Übergewichtige können z. B. laut einer RWI-Studie durch finanzielle Anreize zu einer stärkeren Gewichtsreduktion motiviert werden [19]. Eine Metaanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass Anreizmodelle eine direkte Wirkung auf den Umgang mit der eigenen Gesundheit haben [20]. Nach Ansicht zahlreicher Wissenschaftler hat auch die Besteuerung ungesunder Lebensmittel eine hohe Lenkungswirkung. So konnte eine Modellrechnung zeigen, dass durch eine Änderung der Steuerstruktur für Lebensmittel, bei der adipogene Lebensmittel verteuert und Obst und Gemüse verbilligt werden, eine Reduktion der Adipositasprävalenz sowie eine Senkung der Krankheitskosten im deutschen Gesundheitswesen erreicht werden kann [21].

Merke

Fiskalpolitische Maßnahmen sind geeignet, durch ihre verhältnispräventive Wirkung eine Ernährungswende zu unterstützen.

 Die Wirksamkeit einer gesunden Mehrwertsteuer kann zudem weiter verbessert werden, wenn sie von ergänzenden ordnungspolitischen Maßnahmen begleitet wird, wie zum Beispiel verbindlichen Werbeeinschränkungen und verbesserten Kennzeichnungspflichten. Insgesamt muss das Umfeld der Menschen so gestaltet werden, dass ihnen eine gesundheitsförderliche Lebensweise leichter gelingt.

Dr. rer. med. Franz-Werner Dippel
Franz-Werner Dippel hat Biologie studiert und in Medizin promoviert. 
Seit 2018 ist er als freiberuflicher Dozent für Gesundheit und Ernährung tätig.

1 Lustig RH. Die bittere Wahrheit über Zucker. Wie Übergewicht, Diabetes und andere chronische Krankheiten entstehen und wie wir sie besiegen können. München: Riva-Verlag; 2016

2 WHO Guideline: Sugars intake for adults and children. Geneva: World Health Organisation; 2015

3 Heuer T. Zuckerkonsum in Deutschland. Akt Ernährungsmed 2018; 43: S8-S11 DOI: 10.1055/a-0659-8828.

4 Takasaki Y. Studies on sugar-isomerizing enzyme. Agricult Biol Chem 1966; 30: 1247-1253

5 Pollmer U. Zusatzstoffe von A bis Z. Was Etiketten verschweigen. Hamburg: Deutsches Zusatzstoffmuseum; 2017

6 Debras C, Chazelas E, Srour B. et al. Artificial sweeteners and cancer risk: Results from the NutriNet-Santé population-based cohort study. PLoS Med 2022; 19: e1003950

7 Bandy LK, Scarborough P, Harrington RA. et al. Reductions in sugar sales from soft drinks in the UK from 2015 to 2018. BMC Medicine 2020; 18: 20

8 Rogers PJ, Hogenkamp PS, de Graaf C. et al. Does low-energy sweetener consumption affect energy intake and body weight? A systematic review, including meta-analyses, of the evidence from human and animal studies. Int J Obes (Lond) 2016; 40: 381-394

9 Yunker AG, Alves JM, Luo S. et al. Obesity and sex-related associations with differential effects of sucralose vs sucrose on appetite and reward processing. A randomized crossover trial. JAMA Netw Open 2021; 4: e2126313

10 Gonder U. Süßstoffe – bewährte Masthilfsmittel. Wissenschaftlicher Informationsdienst des Europäischen Institutes für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften e.V. 5. Jahrgang, 5. August. 1999

11 Monteiro CA, Cannon G, Levy RB. et al. NOVA. The star shines bright. World Nutrition 2016; 7: 28-38

12 Pagliai G, Dinu M, Madarena MP. et al. Consumption of ultra-processed foods and health status: a systematic review and meta-analysis. Br J Nutr 2021; 125: 308-318

13 Lane MM, Davis JA, Beattie S. et al. Ultraprocessed food and chronic noncommunicable diseases: A systematic review and meta-analysis of 43 observational studies. Obesity Reviews 2021; 22: e13146

14 Bradford Hill A. The environment and disease: association or causation: J Royal Soc Med 1965; 58: 295-300

15 Rico-Campà A, Martínez-González MA, Alvarez-Alvarez I. et al. Association between consumption of ultra-processed foods and all cause mortality: SUN prospective cohort study. BMJ 2019; 365: I1949

16 Srour B, Fezeu LK, Kesse-Guyot E. et al. Ultra-processed food intake and risk of cardiovascular disease: prospective cohort study (NutriNet-Santé). BMJ 2019; 365: I1451

17 Bonaccio M, Di Castelnuovo A, Ruggiero E. et al. Joint association of food nutritional profile by Nutri-Score front-of-pack label and ultra-processed food intake with mortality: Moli-sani prospective cohort study. BMJ 2022; 378: e070688

18 Hall KD, Ayuketah A, Brychta R. et al. Ultra-processed diets cause excess calorie intake and weight gain: An inpatient randomized controlled trial of ad libitum food intake. Cell Metabolism 2019; 30: 67-77

19

Augurzky B, Bauer TK, Reichert AR et al. Does money burn fat? Evidence from a randomized experiment. Discussion Paper No. 6888, September 2012: www.rwi-essen.de/publikationen/ruhr-economic-papers/

20 Gong Y, Trentadue TP, Shrestha S. et al. Financial incentives for objectively-measured physical activity or weight loss in adults with chronic health conditions: A meta-analysis. PLoS ONE 2018; 13: e0203939

21

Effertz T. Die Auswirkungen der Besteuerung von Lebensmitteln auf Ernährungsverhalten, Körpergewicht und Gesundheitskosten in Deutschland. Universität Hamburg. 2017 Im Internet: adipositas-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2020/07/Studie-gesunde-MwSt.pdf