OnkologieCannabinoide Arzneimittel bei Krebspatient*innen

Die Studienlage zu Arzneimitteln, die cannabinoide Wirkstoffe enthalten, zeigt positive Effekte. Insbesondere bei der Verringerung von Krankheitssymptomen und Therapienebenwirkungen.

Cannabis-Blüte
Melica/stock.adobe.com

von Thomas Herdegen

Hintergrund

Endocannabinoidsystem als Angriffsort von THC

  • Physiologische Wirkungen des ECS
  • Schmerzabwehr als therapeutisch relevante Indikation
  • Störungen des ECS

THC und CBD als Hauptbestandteil von cannabinoiden Arzneimitteln

  • Tetrahydrocannabinol
  • Cannabidiol

Wirkungen von cannabinoiden Arzneimitteln auf Krankheitssymptome

  • Antiemesis
  • Appetit und Gewicht
  • Schmerz

Wissensstand über mögliche zytostatische Effekte von cannabinoiden Arzneimitteln

  • Präklinische Daten
  • Klinische Daten

Fazit

Literatur

Cannabinoide Arzneimittel (CAM) werden bei Krebspatient*innen mit unterschiedlichen Absichten eingesetzt:

  • Verbesserung der Lebensqualität mit psychischer Aufhellung, Verbesserung des Schlafes, Reduktion von Angst und Hoffnungslosigkeit, Steigerung des Appetits, Entspannung des Muskeltonus und Linderung von Schmerzen. Im schlimmsten Fall geht es um eine Auseinandersetzung mit einem Total-Pain-Syndrom.
  • Die Abgabe kann zielgerecht gegen einzelne dieser Symptome erfolgen.
  • Präklinische Daten deuten auf eine mögliche Anti-Tumor-Wirkung von CAM sowohl von THC als auch von CBD hin. Immer wieder wird nach der „Hoffnungsindikation“ auf eine lebensverlängernde Wirkung gefragt.
  • Patientinnen und Patienten haben positive Wirkungen in der eigenen früheren Zeit erfahren, die sie nun in der onkologischen Situation wieder zu erfahren hoffen.

Für manche dieser Indikationen gibt es gute Evidenzen für eine therapeutisch erfahrbare Wirkung – zumindest so gut wie Vergleichsmedikamente. Für manche Indikationen ist die Hoffnung Vater des Verordnungswunsches bzw. der Verordnung. Dies gilt v. a. für die Hoffnung eines zytostatischen Verzögerungs- oder Heilungseffektes. Es ist insbesondere diese Verordnungshoffnung, die es sehr sorgfältig zu diskutieren gilt und deren wissenschaftliche Belege mit aller gebotenen wissenschaftlichen Analytik auf Belastbarkeit überprüft werden müssen.

Der vorliegende Artikel nähert sich diesem Thema in 4 Abschnitten:

Einführung in das Endocannabinoidsystem

eine kurze Vorstellung von THC und CBD

Wirkungen von CAM auf Krankheitssymptome (Schmerz, Angst, Anorexie u. a.)

Wissensstand über mögliche zytostatische Effekte von CAM

Es gibt aktuell 2 therapeutisch relevante Inhaltsstoffe des Cannabis, Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). THC gilt gegenwärtig als das noch wichtigere CAM. Es unterliegt (noch) der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMV) und sein Einsatz wird vom sog. Cannabis-Gesetz geregelt, in novellierter Fassung vom Juli 2023. THC ist die Substanz, die für die großen Indikationsgebiete des Cannabis verordnet wird: Analgesie, Anxiolyse, Depressionslösung, Schlafförderung, Appetitsteigerung, Antiemesis, Muskelrelaxierung.

Erst in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die beiden wichtigsten Bindungsstellen für das THC und andere pflanzliche Cannabinoide kloniert. Entsprechend dieser Liganden erhielten beide Rezeptoren den Namen Cannabinoid-Rezeptoren (CB-1 und CB-2). Das endogene System mit seinen endogenen Liganden für die CB-Rezeptoren erhielt den Namen Endocannabinoidsystem (ECS). Im gleichen Zeitraum wurden die wichtigsten endogenen Liganden für die CB-Rezeptoren isoliert wie Arachidonylethanolamid (AEA, syn. Anandamid) und andere Ethanolamide sowie 2-Arachidonylglycerol (2-AG).

Das ECS lässt sich neurobiologisch definieren [5] [11] durch:

  • die CB-Rezeptoren CB1 und CB2,
  • die endogenen Liganden für CB-R, die Endocannabinoide (EC) und ihre weiteren Nicht-CB-R-Bindungsstellen,
  • die Enzyme (Lipasen, Hydroxylasen u. a.) für die Bildung, den Transport und den Abbau der EC.

Das ECS lässt sich in Analogie zum Endorphinsystem begreifen, dessen Bindungsstellen (Opioid-Rezeptoren) sowohl von den endogenen Liganden, den Endorphinen stimuliert werden wie von Opioiden aus dem Mohn bzw. Opioid-Arzneistoffen. Beide Systeme sind eng verbunden. Zum Beispiel moduliert das ECS das Endorphinsystem sowie unsere Ansprechbarkeit auf Opioide.

Physiologische Wirkungen des ECS

Das ECS ist relevant für vielfältige Hirnfunktionen wie Stimmung, Schlaf, Wahrnehmung, Lernen und Gedächtnisbildung, aber auch für die Appetitregulation und Schmerzabwehr [18].

Die fundamentale Funktion des ECS via CB-Rezeptor 1 (CB1) ist die Limitierung von zu starken synaptischen Aktivitäten (exzitatorisch wie inhibitorisch) über eine retrograde synaptische Hemmung. Cannabinoide hemmen besonders die „suprabasalen“ Erregungen, deshalb bleiben die physiologisch-basalen neuronalen Aktivitäten weitgehend unbeeinflusst (oder um es pharmakologisch auszudrücken: die CB1-Agonisten hemmen „use dependent“).

EC und iatrogene CB1-Liganden wie THC modulieren:

  • autonom-vegetative Systeme, z. B. für die Regulation von Appetit oder Übelkeit,
  • psychovegetative Systeme für die Bewältigung von Stress und Angst,
  • kognitive Systeme für Lernen und Gedächtnisbildung,
  • emotionale Systeme für die Bewältigung von depressiven und anhedonistischen Affekten,
  • die Schmerzabwehr und Distanzierung von Schmerzen.

Das bedeutet auch, dass Störungen im ECS zu Beeinträchtigungen dieser Funktionen führen können.

Schmerzabwehr als therapeutisch relevante Indikation

Die Schmerzhemmung durch EC umfasst die Inhibition der Nozizeption und der Weiterleitung in die supraspinalen Kerngebiete, die Abschwächung aversiver emotionaler Einfärbungen, die Lösung von Angst („fear extinction“) sowie die Hemmung von schmerzassoziierter Inflammation [10]. Interessanterweise heterodimerisieren CB-R mit zahlreichen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren wie den Opioid-Rezeptoren und verhindern möglicherweise deren Habituation bzw. die Toleranzentwicklung von Opioiden. Eine weitere Wirkung des ECS ist z. B. die Stimulation des analgetischen TRPV1-Rezeptors durch das Endocannabinoid AEA, einem vollen TRP1-Agonisten [30].

CB2 und das Immunsystem

Alle Bestandteile des neuronalen ECS finden sich auch im Immunsystem, allerdings ist hier CB2 dominant. Die Rezeptordichte von CB2 ist auf Immunzellen um 10–100-fach höher als die von CB1. CB2 (weniger CB1) finden sich in den meisten Immunzellen, sie spielen sowohl für die angeborene als auch für die adaptive Immunität eine Rolle [22].

Störungen des ECS

Entsprechend seiner physiologischen Bedeutung für die Neurohomöostase sind bei neuropsychiatrischen Krankheitsbildern auch Störungen des ECS zu erwarten. Bei zahlreichen Erkrankungen des Nervensystems sind die Cannabinoid-Rezeptoren und/oder ihre Liganden entweder vermindert exprimiert bzw. ihre Synthese ist herunterreguliert. Solche Störungen [5] [21] [11] sind:

  • posttraumatische Stressstörung (PTSD)
  • Depression
  • Angststörungen
  • Störungen der Stressachse
  • chronische Schmerzen

Tetrahydrocannabinol

Tetrahydrocannabinol (THC) kommt ausschließlich in Cannabispflanzen vor, und zwar in den Blüten und blütennahen Blättern. THC wurde 1964 am Weizmann-Institut für Wissenschaften (Israel) von Raphael Mechoulam (1930–2023) isoliert, der in den 1990er-Jahren auch die CB-Rezeptoren klonierte.

Pharmakologie

Übersichten zur Pharmakokinetik (PK) und Pharmakodynamik (PD) von THC finden sich bei Kendall et al. [18], Lucas et al. [20], Huestis [16], Grotenhermen [9], Stout et al. [26] und Herdegen et al. [12]. THC stimuliert CB1 und CB2 in niedriger nanomolarer Konzentration, jedoch mit geringerer Effektivität als die Endocannabinoide AEA und 2AG. Tierversuche deuten noch auf CB-unabhängige Wirkungen hin.

Wirkungen und Nebenwirkungen

Therapeutische Effekte: Laut Begleiterhebung einer Datenerhebung zur Verordnung zwischen 2017 und 2022 [6] und anderen Beobachtungsstudien [33] [29] verbessern sich unter THC chronische Schmerzen, Schlaflosigkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit und die Stimmung. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über Wirkungen und Nebenwirkungen von THC.

Nebenwirkungen: Laut der Begleiterhebung und anderen Beobachtungsstudien sind die meisten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) Schwindel und Müdigkeit, gefolgt von Übelkeit (evtl. Erbrechen), kognitiven Effekten, Übererregbarkeit und Gleichgewichtsstörungen. Diese Symptome habituieren in der Regel nach 2–3 Wochen. Wegen UAW brechen in den meisten Beobachtungsstudien weniger Patienten die Therapie ab als wegen Opioiden oder COX-Inhibitoren (Übersicht bei [12]).

Arzneimittelinteraktionen (AMI): THC verändert nicht den hepatischen Metabolismus von Arzneistoffen. Starke CYP3A4-Inhibitoren können den THC-Plasma-Spiegel verdoppeln, was klinisch aufgrund der großen therapeutischen Breite kaum relevant ist. Auch CBD erhöht die THC-Plasmaspiegel, 640 mg/d CBD steigert die THC-Plasmakonzentration um 161 %.

Cannabidiol

Cannabidiol (CBD) wird durch das Cannabisgesetz nicht geregelt, es unterliegt nicht der BtMV, seine Einordnung als Nahrungsergänzungsmittel und/oder verordnungsfähiges Arzneimittel ist ungeklärt. Lediglich das Fertigarzneimittel Epidyolex® ist verordnungsfähig. CBD ist jedoch als Cannabinoid von ärztlichem Interesse, weil es sehr häufig mit THC mitverordnet wird und in hohen Dosen, dann meistens als Monotherapeutikum, relevante Arzneimittelinteraktionen hervorrufen kann bzw. den Abbau von THC hemmt. CBD ist das mengenmäßig am meisten vorkommende nicht psychotrope Cannabinoid aus der Cannabispflanze.

Pharmakologie

Übersichten zur Pharmakokinetik (PK) und Pharmakodynamik (PD) von CBD finden sich bei Kendall et al. [18], Lucas et al. [20], Huestis [16], Grotenhermen [9], Stout et al. [26], Herdegen et al. [12]

Das natürliche CBD sowie seine 7-OH- und 7-COOH-Metabolite haben keine CB1- und CB2-Affinität, die synthetischen (+)-Enantiomere binden mäßig affin an den CB1- und CB2-Rezeptor. CBD stimuliert den TRPV1-R, aber hemmt die Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH), damit wird der Abbau der Endocannabinoide, v. a. von N-Arachidonoylethanolamin (AEA), inhibitiert und somit sind CB-Rezeptor-vermittelte Wirkungen möglich.

Weiterhin aktiviert CBD u. a. 5-HT1A-, 5-HT2A- und Dopamin-2-Rezeptoren sowie TRPV-Ionenkanäle, es hemmt 5-HT3A- und GRP55-Rezeptoren sowie T-Typ-Calcium-Kanäle. Über die Hemmung des Abbaus von Tryptophan kann es serotonerge Effekte verstärken.

Wirkungen und Nebenwirkungen

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über Wirkungen und Nebenwirkungen von CBD.

Therapeutische Effekte: Im Rahmen der Erfahrungsmedizin gilt CBD als angstlösend, antientzündlich und entspannend. In Kombination mit THC (im Verhältnis 1 : 1–1 : 3) macht es THC „verträglicher“. Eigenständige Wirkungen sind wahrscheinlich erst ab ca. 100–300 mg/d CBD zu erwarten.

In einer retrospektiven Studie wirkte CBD bei verschiedenen Epilepsie-Typen, die mit der herkömmlichen Behandlung austherapiert waren. Die Dosierung bei den schwerkranken Kindern betrug im Mittel 19 mg/kg und bei Erwachsenen 13 mg/kg. Bei 36,9 % verringerte sich die Anfallshäufigkeit um mehr als die Hälfte. Bei 26–32 % verbesserte sich die Stimmung, bei 16–27 % der Schlaf, bei Kindern bei 38 % die Spastizität bzw. bei 16 % die Depression [19].

Nebenwirkungen: Neben der Begleiterhebung gibt die retrospektive Studie von Kühne et al. [19] ein gutes Bild über die Nebenwirkungen von Hochdosis-CBD (mehr als 300 mg): Am meisten traten Schläfrigkeit, gefolgt von gastrointestinalen Symptomen auf, bei 5–6 % wurden psychische Nebenwirkungen festgestellt. Bei Patient*innen mit metabolischem Syndrom waren die häufigsten Nebenwirkungen Diarrhoe und Übelkeit, Müdigkeit und Kopfweh.

Arzneimittelinteraktionen: Therapeutisch relevant ist die Rolle von CBD als Inhibitor („Eindringling“, perpetrator) von CYP2C19 und in geringerem Ausmaß von CYP2C9 und CYP3A4. So erhöhte CBD die Blutspiegel des aktiven Clobazam-Metaboliten Norclobazam um 500 % ± 300 %. Unter CBD-Hochdosis in einer Kasuistik musste das Immunsuppressivum Tacrolimus (FK506) abgesetzt und die Dosis schließlich um 90 % reduziert werden. Geschätzt ab 300 mg/d muss mit klinisch spürbaren Effekten durch die Hemmung von CYP3A4- und CYP2C19-Substraten gerechnet werden, für niedrigere Dosierungen gibt es keine belastbaren Hinweise (Übersicht bei [12]). Man darf davon ausgehen, dass 30 mg/d einer THC:CBD-Kombination zwischen 1 : 1 und 1 : 5 als unbedenklich gelten dürfen hinsichtlich der CBD-Wirkungen.

Auch für den Einsatz in der Onkologie liegen Erfahrungsmedizin und belastbare Daten aus kontrollierten Studien weit auseinander. Einerseits zeigen Metaanalysen randomisierter Studien fast keine therapeutischen Wirkungen von CAM bei onkologischen Patient*innen, inklusive Schmerzen (Übersicht bei [1]). Andererseits werden bei onkologischen Patient*innen oft CAM verordnet. In der Begleiterhebung hatten 60,3 % der CAM-verordnenden Ärzt*innen die Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“, 37,8 % „Palliativmedizin“ – es darf davon ausgegangen werden, dass ein erheblicher Prozentsatz ihrer Patient*innen eine Tumordiagnose hatte. Bei 14 % wurde die Diagnose „Neubildung“ angegeben.

Hier sollen nun ausgewählte Indikationen diskutiert werden:

Antiemesis

Für unter Chemotherapeutika induzierte Emesis gibt es Hinweise auf eine Wirksamkeit von oralem Dronabinol und Nabilon, das dafür zugelassen ist. Aktuelle Metaanalysen sehen die Wirkung und Verträglichkeit gegenüber neuen Antiemetika kritisch. Aber Patient*innen, bei denen die Emesis trotz Standard-Antiemetika sistierte, profitierten von Add-on-Nabiximols-Spray und präferierten Nabiximols trotz häufiger (meist gering bis moderater) Nebenwirkungen gegenüber Placebo [8].

Im Alltag gilt die antiemetische Wirkung von CAM als unbestritten und sie sind eine echte Alternative z. B. bei Obstipation unter 5-HT3-Antagonisten. Eine Umfrage der Stanford-Universität ergab, dass Cannabis von Nicht-Tumor-Patient*innen als mindestens so effektiv gewertet wurde wie Ondansetron oder Promethazin [34].

Appetit und Gewicht

Cannabis und CAM stimulieren den Appetit, v. a. auf süße bzw. kohlenhydratreiche Snacks. Jedoch erhöhte Dronabinol 2,5 mg/d dabei nicht das Körpergewicht bei Patient*innen mit fortgeschrittenem Tumorleiden [17], Nabilon war ebenso wenig effektiv. Vorsicht ist bei CAM mit höherer CBD-Dosis geboten, denn CBD kann den Appetit hemmen. In der Begleiterhebung berichteten je nach Applikationsform 2–7 % von einer Appetitsteigerung. Es gibt Hinweise darauf, dass zumindest geriatrische Nicht-Tumor-Patienten mit Frailty unter CAM an Gewicht zunehmen [6].

Schmerz

Präklinische Forschungen zeigen, dass CAM eine Chemotherapie-induzierte Neuropathie (CINP) abschwächen bzw. sogar verhindern [32]. In einer israelischen Beobachtungsstudie entwickelten Patient*innen unter Cannabis signifikant weniger CINP als Kontrollen [31].

Für Schmerzen jenseits einer CINP gibt es Studien mit Nabiximols, das jedoch keine Wirkung hatte. Israelische Daten von 2000 Krebspatient*innen [2] legen aber nahe, dass Cannabis bei ⅓ der Patient*innen zum Absetzen von Opioiden führt.

Dagegen berichtet die Erfahrungsmedizin reproduzierbar von klinisch relevanten therapeutischen Effekten bei Palliativpatient*innen, oftmals mit onkologischer Komorbidität oder Primärerkrankung wie Reduktion von Schmerzen, Einsparung von Analgetika und Opioiden bzw. Neuropsychopharmaka sowie von einer Verbesserung der Quality of Life, der Schlaflosigkeit sowie der Stimmung [6] [4] [15] [35]. Eine ausführliche Übersicht und Metaanalyse zeigt die Möglichkeiten [7].

Zusammenfassend ist es ethisch und wissenschaftlich vertretbar, bei onkologischen Patient*innen einschließlich Palliativpatient*innen einen Therapieversuch mit CAM anzubieten. Dafür eignen sich THC in Monotherapie (Dronabinol), Extrakte mit THC und/oder CBD. Eine CBD-Monotherapie könnte sich eignen bei Angststörungen oder entzündlichen Prozessen einschließlich dermatologischen Erkrankungen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auch auf das Verhältnis von THC und CBD gelegt werden [25].

Viele Patient*innen hoffen auf eine lebensverlängernde Antitumorwirkung. Diese Hoffnung wird durch zahlreiche positive präklinische Daten gestützt, aber klinisch belastbare Daten fehlen. Die Verordnung von CAM mit der Hauptindikation Lebensverlängerung bzw. Stopp der Tumorprogression muss kritisch gesehen werden und soll hier nicht Gegenstand dieses Artikels sein.

Präklinische Daten

Eine exzellente Übersicht über die präklinischen Wirkungen von CAM findet sich bei Hinz et al. [13] [14] sowie Ramer et al. [23] [24].

Es gibt zahlreiche Studien mit antitumorogenen Effekten von THC bzw. CB1-Agonisten sowie CBD auf Tumorzellen (v. a. Gliomazellen) in vitro und Tumorprogression in vivo. Die Mechanismen sind vielfältig und umfassen die Aktivierung von Apoptose, Hemmung des Survivals, Hemmung der Vaskularisierung, Autophagie, Aktivierung des Immunsystems. All diese Daten rechtfertigen, CAM als Add-on in der Tumortherapie zu verordnen. Allerdings finden sich vereinzelte Arbeiten, die diese Befunde nicht bestätigen oder sogar protumorogene Effekte beschreiben.

Klinische Daten

Hier wird die Luft dünn. Es werden positive Einzelfälle beschrieben und propagiert, wodurch die CAM-Therapie eine Aura von Wunderheilung erhält. Ein großes Problem ist die placebokontrollierte Durchführung von klinischen Studien. Gegenwärtig lassen sich nur durch eine Add-on-Gabe von CAM Daten über mögliche antitumorogene Wirkungen gewinnen [1]. In einer sehr kleinen Studie war die Einnahme von Nabiximols bei Gliompatienten mit einem verlängerten Überleben assoziiert [28].

Die meisten Onkolog*innen befürworten „im Prinzip“ den Einsatz von CAM, aber nicht alle der Befürworter verordnen CAM [1]. Sorgen betreffen mögliche Nebenwirkungen, Arzneimittelinteraktionen wie Abschwächung der Wirkung von Zytostatika. So berichten israelische Autoren, dass CAM als Add-on zu Immuntherapeutika die Zeit der Tumorprogression verkürzte, allerdings erhielten in der CAM-Gruppe nur halb so viele Patienten Immuntherapeutika wie in der Vergleichsgruppe [3].

Die Indikationen von CAM in der Tumortherapie sind bis auf Weiteres die Begleitstörungen einer Tumorerkrankung und ihrer Zytostatika-Therapie bzw. von Nebenwirkungen, die im Rahmen einer Pharmakotherapie eines Total-Pain-Syndroms entstehen, also Schmerzen, Übelkeit und Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, erhöhter Muskeltonus, Stress, depressive Verstimmungen, Ängstlichkeit und fehlende Distanzierung zum Krankheitsgeschehen.

Prof. Dr. med. Thomas Herdegen ist Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie und stellvertretender Leiter des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Er studierte Humanmedizin in Würzburg und Wien und absolvierte eine neurowissenschaftliche Ausbildung und Forschung an den Universitäten Heidelberg, Yale (USA), San Diego (USA) und Brisbane (Australien). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Neuropharmakologie und Schmerzpharmakologie.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

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