PhytotherapiePhytotherapie bei akuten Harnwegsinfekten und interstitieller Zystitis

Unkomplizierte Harnwegsinfektionen: Phytopharmaka können als Antiinfektiva mit einer breiten Wirkung und als Adjuvantien zur Verbesserung der antibiotischen Therapie eingesetzt werden.

Goldrute in voller Blüte
M. Schuppich/stock.adobe.com

Die Goldrute gehört zu den wirksamen Phytotherapeutika zur Symptomlinderung von häufigem Wasserlassen mit Brennschmerz.

von Sandra Utz, Petra Klose, Jost Langhorst

Unkomplizierte Harnwegsinfekte

Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten (meist) bakteriellen Infektionen beim Menschen (in mehr als 80% der Fälle durch E. coli verursacht). Die häufigste Form ist hierbei die unkomplizierte Zystitis, d.h. nach S3-Leitlinie eine Harnwegsinfektion ohne relevante funktionelle oder anatomische Anomalien, relevante Nierenfunktionsstörungen oder relevante Begleiterkrankungen [1].

Durchspülungstherapie mit Wasser zeigte sich in einer Studie als effizient zur Reduktion von rezidivierenden Harnwegsinfektionen [2]. Viele pflanzliche Durchspülungsmittel zeigen sich in Form von Tee als ebenfalls wirksam. Beispiele hierfür wären:

  • Birkenblätter (Betulae folium),
  • Brennnesselkraut (Urticae herba),
  • Hauhechelwurzel (Ononidis radix),
  • Katzenbart (Orthosiphonis folium),
  • Schachtelhalmkraut (Equisetui herba),
  • Bärentraubenblätter (Uvae-ursi folium),
  • Goldrutenkraut (Solidago virgaurea L.),
  • Spargelwurzelstock (Asparagi rhizoma) und
  • Wacholderbeeren (Juniperi galbulus).

Die Behandlung von Erkrankungen unterschiedlichster Entitäten mit Phytopharmaka hat in Deutschland eine lange Tradition [3][4]. Im Jahr 2022 wurden auf dem deutschen Apothekenmarkt insgesamt über 1 Milliarde Euro für Phytopharmaka ausgegeben [5].

Antibiotika-Resistenzen verringern

Vor allem in der Selbstmedikation von Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen des Urogenitaltraktes haben Phytotherapeutika in den letzten Jahren aufgrund der Resistenzproblematik von Antibiotika an Popularität gewonnen, insbesondere bei akuten unkomplizierten Harnwegsinfekten [6]. 51 Millionen Euro Umsatz verzeichneten die Apotheken bei urologischen Phytotherapeutika in Deutschland im Jahr 2022 [7].

Ein weiterer Ansatzpunkt für Phytotherapeutika bei Harnwegsinfekten ist die problematische Entwicklung hinsichtlich der steigenden Antibiotika-Resistenzen, was zu einer international propagierten Reduktion der Antibiotika-Therapie geführt hat. Es gibt deutliche Hinweise auf eine antibakterielle Wirkung von Phytopharmaka. Pflanzen produzieren eine Vielzahl von sekundären Inhaltsstoffen, die unter anderem zur direkten Abwehr von mikrobiellen Angriffen beitragen können.

Es zeigt sich eine breite Wirkung pflanzlicher Extrakte aufgrund des komplexen Inhaltsstoffspektrums. Zum einen zur Nutzung als Antiinfektiva mit einer relativ schwachen, aber dafür sehr breiten Wirkung und zum anderen zur Nutzung als Adjuvantien. Hierbei minimieren Inhaltsstoffe ohne oder mit nur geringer antibakterieller Aktivität aktive oder passive Resistenzmechanismen, heben sie komplett auf oder steigern die immunologische Abwehr des Wirtes. Dadurch kann letztendlich auch die antibakterielle Aktivität des Antibiotikums, die durch die Resistenz verringert war, wieder erhöht werden.

Somit wird eine Infektion durch die Kombination eines pflanzlichen Adjuvans mit dem entsprechenden Antibiotikum wieder therapierbar. Zusätzlich wird eine Resistenzentwicklung gegenüber einer Wirkstoffkombination mit unterschiedlichen bakteriellen Zielstrukturen erschwert und eine Reduktion der Antibiotikadosierung im Vergleich zur Monotherapie würde zu einer Abnahme unerwünschter Arzneimittelwirkungen und Therapiekosten führen.

Rezidivierende Harnwegsinfektionen: Kombinationspräparat aus Goldrutenkraut, Orthosiphon und Hauhechelwurzel

Bei wiederkehrenden bakteriellen Harnwegsinfektionen im Erwachsenenalter beispielsweise werden inzwischen im Rahmen einer Stufentherapie erst einmal nicht-antibiotische Therapieoptionen wie Verhaltensänderungen, Immunmodulationen, aber auch Phytotherapeutika vor der antibiotischen Langzeitprophylaxe empfohlen [6].

Eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie zu Goldrutenkraut (Solidago virgaurea L.), Orthosiphonblättern und Hauhechelwurzel (Ononidis radix) zeigte bei einer 7-tägigen Einnahme eine signifikante Keimzahlreduktion bei 64,4% der Probanden der Phytotherapie-Gruppe im Vergleich zu 24,4% in der Placebogruppe (reine Erhöhung der Trinkmenge) [8]. Zusätzlich zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Symptomatik bereits nach dem ersten Phytotherapie-Behandlungstag [9].

Die Phytotherapie wirkte somit deutlich effektiver als eine reine Erhöhung der Trinkmenge in der Placebogruppe. Zusätzlich konnten insgesamt 84,7% der Patientinnen ohne zusätzliche Gabe eines Antibiotikums (während oder nach der Behandlung) geheilt werden.

Die Wirkung der einzelnen Kräuter ist hierbei gut belegt:

Goldrutenkraut verfügt über eine gut untersuchte signifikante antiinflammatorische Wirkung, einschließlich der Hemmung proinflammatorischer Enzyme (wie beispielsweise die Leukozytenelastase) durch die aus der Goldrute isolierten Saponine, Flavonoide und Kaffeesäure. Darüber hinaus können Estersaponine die Synthese antientzündlicher Glucocorticoide stimulieren [10] [11]. Für Goldrutenkraut wird zudem eine entkrampfende Wirkung diskutiert. So wurde unter anderem an isoliertem humanem Blasengewebe gezeigt, dass die acetylcholininduzierte Muskelkontraktion effektiv reduziert wird.

Die Hauhechelwurzel bringt analgetische und antiinflammatorische Eigenschaften mit. Hauhechelwurzelextrakt wirkt sowohl auf direkt antinozizeptivem Weg analgetisch als auch indirekt durch Hemmung proinflammatorischer Enzyme, die die Entzündungszeichen mildern. Dabei belegen In-vivo-Modelle, dass die intraperitoneale Applikation von 50 und 100 mg/kg Hauhechelextrakt eine ebenso signifikante Schmerzlinderung bewirkt wie 100 mg/kg Acetylsalicylsäure und sogar 10 mg/kg Morphin [12].

(Phytotherapie-Kombination als Arzneimittel in Deutschland erhältlich: 80 mg Hauhechelwurzel, 90 mg Orthosiphonblätter, 180 mg Goldrutenkraut; Dosierung: 3-mal täglich 2 Tabletten).

Mehrfachwirkung von Senfölen

Senföle aus Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) und Meerrettichwurzel (Radix Armoraciae) sind eine weitere phytotherapeutische Kombination, die bei akuter Zystitis Beschwerden lindern und die Rückfallquote von Blasenentzündungen signifikant verringern kann. Träger der antimikrobiellen Wirkmechanismen sind die in beiden Pflanzen enthaltenen Glucosinolate (Senfölglykoside), aus denen nach oraler Einnahme die wirksamkeitsbestimmenden Senföle (sogenannte Isothiocyanate, ITC) freigesetzt werden.

Das antiinfektive Potenzial der Senföle beruht auf einer multimodalen Wirkweise, wodurch die Erreger auf mehreren Ebenen angegriffen werden können. So konnten in zahlreichen In-vitro-Untersuchungen antibakterielle Wirkungen gegen viele klinisch relevante Erreger und sogar gegen antibiotikaresistente E. coli und ESBL-bildende Klebsiellen gezeigt werden [13][14][15]. In vitro konnte zusätzlich gezeigt werden, dass auch die bakterielle Beweglichkeit und die bakterielle Zellanheftung [16] reduziert sowie die Invasion des Bakteriums in die Wirtszelle und die Ausbildung von bakteriellen Biofilmen durch Hemmung der bakteriellen Kommunikation (Quorum sensing) unterbunden werden kann [17].

Diese Multi-Target-Effekte auf bakterielle Erreger erschweren die Entwicklung von Resistenzmechanismen gegen die Senföle und können bei der Bekämpfung der zunehmenden Antibiotika-Resistenzproblematik eine große Rolle spielen. Neben den vielfältigen antimikrobiellen Effekten sind zusätzlich antivirale und antientzündliche Effekte beschrieben worden [18][19][20], die bei der Therapie von Infektionen der Harnwege ebenfalls zum Tragen kommen.

Diese Phytotherapie-Kombination kann sowohl bei akuten entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege als auch zur Rezidivprophylaxe angewendet werden (in Deutschland als Arzneimittel erhältlich; Dosierung: 3-mal täglich 4 Tabletten).

Bei häufig rezidivierenden Harnwegsinfektionen wird als phytotherapeutische Behandlungsmöglichkeit der Einsatz von Kapuzinerkresse und Meerrettich befürwortet [1]. Ausschlaggebend für die Empfehlung war eine randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Studie über 3 Monate, die zeigen konnte, dass die Phytotherapie-Kombination in einer Dosierung von 2-mal täglich 2 Tabletten die Rückfallquote von wiederkehrenden Blasenentzündungen bei Erwachsenen signifikant und um 44% versus Placebo senken konnte [21]. Die gute Verträglichkeit von Kapuzinerkresse und Meerrettich ermöglicht eine Langzeitanwendung, z.B. bei wiederkehrenden Zystitiden.

In zwei großen Kohortenstudien mit 1654 Erwachsenen und 858 Kindern konnte zudem gezeigt werden, dass die Symptomatik von (u.a.) Zystitiden (relative Änderung des mittleren Beschwerdescores: Mittelwert verschiedener Zystitis-typischer Symptome) im vergleichbaren Maß zurückging wie unter Standardantibiotikum – allerdings führte der Verzicht auf eine antibiotische Therapie zu einer etwas längeren Heilungsdauer [22] [23]. Das Phytopharmakon war dabei signifikant besser verträglich als die antibiotische Therapie.

Kombinationspräparat aus Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckel

Rosmarin (Rosmarini folium), Tausendgüldenkraut (Centaurii herba) und Liebstöckel (Levisticum officinale) können mit ihrem multimodalen Wirkspektrum (antiinflammatorisch, antinozizeptiv, antioxidativ, spasmolytisch) ebenfalls bei akuter Zystitis zur Linderung von Symptomen (Harndrang, Schmerzen beim Wasserlassen, Gefühl einer unvollständigen Blasenentleerung, Schmerzen im Unterbauch, Blut im Urin) beitragen [24] und dies mit einer ähnlichen Wirksamkeit wie Antibiotika. Die anti-inflammatorische und analgetische Wirkung wurde in experimentellen Tiermodellen gezeigt (Dosierung angepasst auf Mäuse/Ratten) [25]. Ebenso wurde bei Patientinnen mit akuter Zystitis nach der Einnahme dieser Kräuter eine Reduktion der inflammatorischen Zytokine IL-6 und IL-8 im Urin festgestellt [26].

Cranberries

Die Proanthocyanidine in Cranberries tragen zur Adhäsionshemmung von uropathogenen Keimen in Epithelzellen bei und erweisen sich in einer aktuellen Metaanalyse als möglicherweise wirksam, um bei Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen, bei Kindern und bei Personen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Harnwegsinfektionen das Risiko einer solchen Infektion zu senken. Für ältere Personen und Schwangere ist die Datenlage aktuell zu unklar [27].

Schlussfolgerung

Insgesamt zeigen sich also:

  • Bärentraubenblätter, Birkenblätter, Goldrutenkraut und Schachtelhalmkraut als wirksam zur Symptomlinderung von häufigem Wasserlassen mit Brennschmerz;
  • Birkenblätter, Brennnesselblätter, Schachtelhalmkraut, Orthosiphonblätter und Hauhechelwurzel als wirksam zur Rezidivprophylaxe und
  • Kapuzinerkresse, Meerrettichwurzel und Birkenblätter als sinnvoll zur adjuvanten Basistherapie bei akuter Zystitis.

In der aktuellen S3-Leitlinie zu Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Personen wird eine „kann“-Empfehlung für Phytotherapeutika ausgesprochen: Demnach können verschiedene Phytotherapeutika, z.B. Präparate aus Bärentraubenblättern (maximal 1 Monat), Kapuzinerkresse, Meerrettichwurzel, erwogen werden [1].

 

Die interstitielle Zystitis

Bei interstitieller Zystitis (IC) handelt es sich im Gegensatz zu einer akuten Zystitis um eine nichtinfektiöse chronisch-rezidivierende bis chronisch-progredient verlaufende Erkrankung der Harnblase mit einer chronischen Entzündung aller Schichten der Harnblasenwand. Sie äußert sich in Schmerzen, Pollakisurie, Nykturie und imperativem Harndrang in unterschiedlicher Ausprägung und Kombination der Symptome [28].

Für die Diagnose müssen andere differenzialdiagnostische Erkrankungen ausgeschlossen werden. Eine weltweit einheitliche Definition existiert bislang nicht [29][30][31]. In Deutschland wird die Erkrankung nur sehr selten diagnostiziert. Man geht jedoch insgesamt davon aus, dass alle Altersgruppen betroffen sein können und Frauen ungefähr 9-mal häufiger betroffen sind als Männer [32][34].

Es werden unterschiedliche Ursachen diskutiert, die für die Ätiologie des Krankheitsbildes verantwortlich sein können: Dysfunktion des Urothels, Entzündungen, neuronale Hyperaktivität, Beeinträchtigung der Mikrozirkulation, exogene Substanzen (z.B. Lebensmittelunverträglichkeiten), Histaminintoleranz, Infektionen (kontrovers diskutiert), Dysfunktion des Beckenbodens, viszeraler Crosstalk zwischen Darm und Harnblase (Reizdarmsyndrom als häufigste Komorbidität), Endometriose, nicht harnblasenassoziierte Faktoren (Begleiterkrankungen korrelieren mit dem Schweregrad der IC). Psychosomatische Belastungsstörungen (deutliche Einschränkungen in der Lebensqualität), Mikrobiom und genetische Faktoren (nicht eindeutig belegt) [28].

Interdisziplinär behandeln

Die interstitielle Zystitis verläuft häufig schwierig und mit unbefriedigenden Therapieversuchen. Es wird daher in der Leitlinie empfohlen, interdisziplinär, multimodal und unter Berücksichtigung des biopsychosozialen Modells (Interaktion zwischen psychologischen, biologischen und sozialen Wirkfaktoren) die Behandlung individuell anzupassen. Wie bereits oben erwähnt, werden bei wiederkehrenden bakteriellen Harnwegsinfektionen im Erwachsenenalter beispielsweise inzwischen im Rahmen einer Stufentherapie erst einmal nicht-antibiotische Therapieoptionen wie Verhaltensänderungen, Immunmodulationen, aber auch Phytotherapeutika vor der antibiotischen Langzeitprophylaxe empfohlen (auf dem Hintergrund der zunehmenden Resistenz der Erreger und der international propagierten Reduktion der Therapie mit Antibiotika) [6].

Was kann die Phytotherapie bei interstitieller Zystitis leisten?

Da Histamin eine entscheidende Rolle im Rahmen der neurogenen Inflammation, die bei interstitieller Zystitis vermutet wird, spielt, kann die interstitielle Zystitis möglicherweise Ausdruck einer Histaminintoleranz sein. Jedoch sind weder die genauen Pathomechanismen geklärt, noch gibt es schulmedizinisch anerkannte Testmethoden. Histaminintoleranz gehört zur Gruppe der Lebensmittelunverträglichkeiten, deren Ursache ein Mangel des histaminabbauenden Enzyms Diaminoxidase (DAO) oder ein Missverhältnis zwischen Histamin und DAO ist. Die meisten der Nahrungsmittel, die Symptome der IC auslösen können, sind histaminhaltig, histaminfreisetzend oder DAO-blockierend [28]. Genau hier kann die Phytotherapie mit ihrer guten Wirksamkeit sowie hoher Sicherheit und Verträglichkeit ansetzen. Obwohl es keine formalen Studien zur Phytotherapie bei interstitieller Zystitis gibt, deuten Maßnahmen aus der Erfahrungsmedizin auf potenzielle Therapieansätze hin.

Rosmarin (Rosmarini folium; 18 mg), Tausendgüldenkraut (Centaurii herba; 18 mg) und Liebstöckel (Levisticum officinale; 18 mg) (als Arzneimittel in Deutschland erhältlich; Dosierung: 2 Kapseln, 3-mal am Tag, vor oder nach den Mahlzeiten für 7 Tage) sind mögliche histaminarme Phytotherapieoptionen, die histaminreduzierend oder -stabilisierende Wirkungen haben könnten. Die antiinflammatorische und analgetische Wirkung [25][26] konnte bei akuter Zystitis gezeigt werden. Auch bei der Linderung der Symptome der akuten Zystitis zeigt das Kombinationspräparat eine ähnliche Wirksamkeit wie Antibiotika [24], weswegen dieses pflanzliche Arzneimittel nicht nur histaminreduzierend, sondern auch schmerz- und symptomreduzierend bei IC wirken könnte.

Auch Hauhechelwurzel, Orthosiphonblätter und Goldrutenkraut (als Arzneimittel in Deutschland erhältlich: 80 mg Hauhechelwurzel, 90 mg Orthosiphonblätter, 180 mg Goldrutenkraut; Dosierung: 3-mal täglich 2 Tabletten) sind histaminarme Kräuter, die aufgrund ihrer eigentlichen Indikation „zur Durchspülung bei bakteriellen und entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege“ geeignet sein können, obwohl aktuell spezifische Studien für interstitielle Zystitis noch fehlen. Es liegt zudem keine Beschränkung der Anwendungsdauer vor. Die bereits erwähnte signifikante antiinflammatorische Wirkung von Goldrutenkraut (Hemmung proinflammatorischer Enzyme und Stimulation der Synthese antientzündlicher Glucocorticoide) [10][11], die entkrampfende Wirkung von Orthosiphon und die analgetische (ähnliche Wirkung wie ASS) [12] und antiinflammatorische Wirkung der Hauhechelwurzel (auf direkt antinozeptivem Weg und durch Hemmung proinflammatorischer Enzyme) können zusätzlich die Symptomatik der IC deutlich lindern.

Klinische Erfahrungen legen zudem nahe, dass Tees mit histaminreduzierenden oder -stabilisierenden Kräutern, die bei Mastzytose oder Histaminintoleranz eingesetzt werden, auch bei Patienten mit IC zur Symptomlinderung führen können. Beispiele hierfür wären Tees aus Brennnessel, Schachtelhalm, Zistrose, Pfefferminz, Kamille, Ingwer oder Hibiskus.

Fazit

Phytotherapeutika haben sich mittlerweile bei (unkomplizierten) Harnwegsinfekten bei erwachsenen Menschen etabliert und werden in der aktuellen S3-Leitlinie empfohlen [1].

Der gezielte Einsatz o.g. Phytotherapeutika für interstitielle Zystitis erscheint aufgrund der histaminstabilisierenden Wirkung, aber auch aufgrund der schmerz- und symptomreduzierenden Wirkung sinnvoll und sollte in der klinischen Praxis vermehrt eingesetzt werden. Systematische randomisiert-kontrollierte klinische Studien sind jedoch erforderlich, um eine allgemeine Akzeptanz bei den behandelnden Ärzten zu erreichen und um letztendlich als evidenzbasierte Empfehlungen in die Leitlinien übernommen werden zu können. Die Leitlinie zur interstitiellen Zystitis [28] befindet sich zurzeit in Überarbeitung, wobei phytotherapeutischen Verfahren dabei mehr Raum gegeben werden wird.

Prof. Jost Langhorst ist Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde und Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Integrative Medizin der Universität Duisburg-Essen am Klinikum Bamberg. Schwerpunkt der Arbeit in Forschung, Lehre und Patientenversorgung ist die Integration von wissenschaftlich fundierten Verfahren der klassischen und erweiterten Naturheilkunde und Komplementärmedizin in die konventionell bewährte Medizin.

Interessenkonflikt: JL erhielt Forschungsunterstützung der Steigerwald Arzneimittelwerke GmbH, Falk Foundation, TechLab Inc., Dr. Willmar Schwabe und Repha GmbH biologische Arzneimittel sowie Vortragshonorare von Falk Foundation, Repha GmbH biologische Arzneimittel, Dr. Willmar Schwabe, Galapagos Pharma, Takeda Pharmaceutical, Janssen Cilag, Dr. Pfleger Arzneimittel, Bristol-Myers Squibb, Bionorica, Pfizer Pharma, Enterosan Labordiagnostik. Es bestand Berater/Gutachtertätigkeit für Medizinverlage Stuttgart, Repha, Dr. Willmar Schwabe.

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